Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, werden nicht nur physisch, sondern noch häufiger psychisch misshandelt. Mara Rick von der Berliner Beratungsstelle "Pflege in Not" erklärt, was bei Verdacht auf eine Misshandlung zu tun ist.

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Mara Rick

Leiterin der Beratungsstelle "Pflege in Not" des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte

Gewaltschutzambulanzen stehen Ärzten beratend zur Verfügung

MMW: Wie sollte die richtige Dokumentation aussehen?

Rick: Um eine gerichtsfeste Dokumentation von körperlichen Misshandlungen zu veranlassen, verweisen wir an die Gewaltschutzambulanzen der jeweiligen Bundesländer. Möchte der Arzt oder die Ärztin die Dokumentation selbst übernehmen, kann bei den Ambulanzen nachgefragt werden, worauf dabei zu achten ist. Auf jeden Fall sollten die Verletzungen schriftlich festgehalten und mit dem Einverständnis der Betroffenen oder Betreuer eine Fotodokumentation durchgeführt werden. Wichtig ist auch zu fragen, wie der Gewaltübergriff stattgefunden hat und wie es dazu gekommen ist, raten die Gewaltschutzambulanzen. So lässt sich auch besser einschätzen, ob die Schilderungen mit den vorhandenen Verletzungen übereinstimmen.

MMW: Ältere Menschen neigen von Haus aus etwa zu Hämatomen und stürzen häufiger. Wie kann eine Misshandlung nachgewiesen werden?

Rick: Gerade im höheren Alter ist es aufgrund der Einnahme von Blutverdünnern, von Pergamenthaut und Demenz schwierig, zweifelsfrei festzustellen, ob eine Verletzung tatsächlich von Gewalt herrührt. Wenn etwa nach einer Ohrfeige Striemen von der Hand im Gesicht des Opfers erkennbar sind, dann ist es relativ einfach. Bei blauen Flecken, die bei älteren Menschen nicht unüblich sind, wird es schon schwieriger. Umso wichtiger ist es, mit den Betroffenen zu sprechen, auch um zu beurteilen, wie das Verhältnis generell zwischen der pflegebedürftigen Person und den Betreuern ist. Da sollte man besonders wachsam sein.

MMW: Täter und Opfer stehen meist in einer komplizierten persönlichen Beziehung zueinander, besonders wenn die Betroffenen von Angehörigen gepflegt werden. Was beobachten Sie dabei häufig?

Rick: Täter und Opfer sind oft emotional eng miteinander verbunden oder auch verwandt, etwa wenn die Tochter die Mutter pflegt. Es kann sich eine gewisse Beziehungsdynamik entwickelt haben. Durch die Strapazen der Pflege verschärft sich die ohnehin belastete Situation weiter. Wir beobachten auch häufig, dass die misshandelte Person, wie etwa die Mutter aus meinem Fallbeispiel, weiter von der Tochter versorgt werden möchte, obwohl sie von ihr Gewalt erfährt. Das ist oft schwer nachzuvollziehen. Es kann gut sein, dass eine pflegebedürftige Person erklärt: Ja, meiner Tochter rutscht schon mal die Hand aus, aber ich will bei ihr bleiben, denn sie ist ja die Einzige, die für mich da ist. Spätestens an diesem Punkt sollten Beratungsstellen hinzugezogen werden, die beide beraten können, was an der Konstellation geändert, wie die Tochter entlastet werden kann, damit es nicht mehr zu den Gewaltvorfällen kommt.