Aus epidemiologischen Studien gibt es Hinweise, dass eine Einnahme von Folsäure das Suizidrisiko reduzieren könnte. Eine große Analyse von Versicherungsdaten festigt nun diese Hypothese. Es wäre Zeit für eine randomisierte Studie.

Ausgewertet wurden Daten von mehr als 100 US-amerikanischen Versicherungen zu Diagnosen und Verschreibungen. Identifiziert wurden 860.000 Menschen mit mindestens einer Verschreibung von Folsäure. Mehr als 99% erhielten den Stoff als Einzelpräparat. Die Tagesdosen reichten von 0,4 bis 5 mg; in fast der Hälfte der Fälle war es 1 mg. Suizidversuche wurden entsprechend ihrer Kodierung bei Kontakt mit Ärzten erfasst. Es gab zwei Kontrollgruppen: erstens dieselben Individuen in Zeiträumen ohne Folsäureeinnahmen, zweitens andere Versicherte, die Vitamin B12 verschrieben bekamen.

55% Statistische Reduktion des Suizidrisikos in Verbindung mit der Einnahme von Folsäurepräparaten

In die Zeiträume mit Folsäureeinnahme fielen 261 Suizidversuche, in die Zeiträume ohne Folsäure 895 (4,7 vs. 10,6 auf 100.000 Patientenmonate). Das relative Risiko für einen Suizidversuch war in den Phasen der Folsäureeinnahme mehr als halbiert (relatives Risiko: 0,45). Für die Dosis von 1 mg zeigte sich eine Abnahme des Risikos um 5% für jeden Monat der Einnahme. Die Analyse der Vergleichsgruppe zeigte keinerlei Einfluss einer Vitamin-B12-Verschreibung auf das Risiko für einen Suizidversuch.

Quelle: Gibbons RD, Hur K, Lavigne JE et al. Association between folic acid prescription fills and suicide attempts and intentional self-harm among privately insured US adults. JAMA Psychiatry. 2022;79:1118-23

MMW-Kommentar

Diese Studie kann natürlich nur eine Korrelation zwischen Folsäure und Suizidaltität aufzeigen. Die Autoren haben sich aber weitgehend bemüht, Störfaktoren statistisch auszuschließen. Sie schlagen eine randomisierte Studie mit Kriegsveteranen vor, für die aus Kohortenstudien eine Suizidversuchsrate von 6% in drei Monaten bekannt ist. Ihren Berechnungen zufolge wäre eine Teilnehmerzahl von 4.000 ausreichend um den protektiven Effekt von Folsäure nachzuweisen.

Wie dem auch sei: Der oft schlechte Ernährungszustand von Menschen mit Depression ist bekannt. Auf zu niedrige Folsäurespiegel zu achten und ggf. zu substituieren sollte Routine werden.

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Prof. Dr. med. Michael Hüll

Klinik für Alterspsychiatrie und -psychotherapie, Emmendingen