In einer Phase-3-Studie bremste der Antikörper die Alzheimer-Progression im Vergleich zu Placebo um ca. 27%. Die klinische Relevanz ist jedoch umstritten.

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Amyloid-Plaques auf Axonen von Neuronen, die von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind.

Erstmals konnte in einer großen Studie zweifelsfrei der Nutzen einer Anti-Amyloid-Therapie bei Morbus Alzheimer belegt werden. Mit dem monoklonalen Antikörper Lecanemab entwickelten die mit dem Präparat behandelnden Probandinen und Probanden im Laufe von 18 Monaten signifikant weniger Amyloid-Plaques im Gehirn als die Kontrollgruppe unter Placebo. Und: Die Progression der Erkrankung ließ sich im Vergleich zu Placebo um rund 27% verzögern. Der Antikörper hat damit gute Chancen, als erstes krankheitsmodifizierendes Arzneimittel gegen Alzheimer in der EU zugelassen zu werden.

"Diese Ergebnisse markieren eine Zeitenwende", sagte Prof. Christian Haas vom Deutschen Zentrum für neurodegenera-tive Erkrankungen (DZNE) in München. "Die Bedeutung von Anti-Amyloid-Therapien für Patienten mit der Alzheimer-Krankheit ergibt sich weniger aus dem Datensatz zu Lecanemab selbst, sondern vielmehr aus der Stimmigkeit des Gesamtbildes mit den Daten zu Aducanumab und Donanemab. Alle diese Antikörpertherapien entfernen effektiv Amyloid-Ablagerungen aus dem Gehirn und scheinen auch einen günstigen Einfluss auf die Tau-Ablagerungen zu haben. Damit einher geht ein klinischer Effekt, der bei einer Verlangsamung der Krankheitsprogres- sion zwischen 25-30% zu liegen scheint."

"Wir sehen hier keinen Wow-Effekt!"

Gerade dieses Resultat halten andere Experten aber für recht mager. "Wenn eine Studie groß genug ist, sind auch geringe Unterschiede statistisch signifikant, doch ist der Effekt für den einzelnen Patienten auch spürbar?", fragt etwa Prof. Richard Dodel, Essen. Er verweist auf die Differenz von nur 0,45 Punkten zwischen Verum und Placebo beim klinischen Endpunkt, der "Clinical Dementia Rating - Sum of boxes" (CDR-SB). "In der Literatur gelten erst Werte ab 0,5 Punkten als klinisch relevant. Lecanemab ist zwar nahe dran, aber dennoch leicht darunter. Wir sehen hier keinen Wow-Effekt", so Dodel.

"Davon merkt der Patient kaum etwas", gibt auch Prof. Stefan Teipel vom DZNE in Rostock/Greifswald zu bedenken. Er hält es aber für möglich, dass bei einer länger dauernden Therapie die Effekte relevanter werden.

An der Phase-3-Studie haben 1.795 Personen teilgenommen, 62% hatten noch keine manifeste Alzheimerdemenz, sondern lediglich erste kognitive Einschränkungen (MCI), die auf eine Alzheimerpathologie mit verstärkter Amyloidablagerung im Gehirn zurückgeführt wurden. 38% hatten bereits eine leichter Alzhei-merdemenz, 68% waren ApoE4-positiv, knapp 16% homozygot. Die Hälfte der Teilnehmenden bekam Lecanemab in einer Dosierung von 10 mg/kg alle 2 Wochen infundiert, die übrigen erhielten Placebo. Behandelt wurde über 18 Monate hinweg.

Quelle: van Dyck CH et al. Lecanemab in Early Alzheimer's Disease. NEJM 2022; doi: 10.1056/NEJMoa2212948