Bei einer 46-jährigen Frau mit zunehmender Fatigue und Kurzatmigkeit reichte den Ärzten ein Blick in ihre Augen, um diagnostisch den richtigen Verdacht zu schöpfen.

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© The Cleveland Clinic Foundation 2022

Blaue Skleren mit eigenartiger Leuchtkraft bei der Vorstellung (oben) und normalisierte Färbung nach 3-monatiger Eisentherapie (unten).

Als sich die Japanerin in einem Tokioter Krankenhaus vorstellt, leidet sie seit drei Monaten an zunehmender Fatigue und Kurzatmigkeit. Bei der körperlichen Untersuchung fallen neben der Blässe des Gesichts und der Konjunktiven bläuliche Skleren auf. Die Ursache dafür wird durch Anamnese und Laborbefunde schnell klar: Einige Jahre zuvor sind Uterusmyome als Auslöser von Menorrha-gien identifiziert worden, die Frau hat gynäkologische Folgetermine aber nicht wahrgenommen. Aktuell hat sie einen Hb-Wert von nur noch 4,0 g/dl, ein Hämatokrit von 16,7% (Referenzbereich 37-47%), ein Serumferritin von 0,8 ng/ml (24-307 ng/ml) und eine Transferrinsättigung von 2,8% (20%-50%).

Die Patientin erhält sofort eine Erythrozytentransfusion und beginnt eine orale Eisentherapie; außerdem werden die Myome mit oralen GnRH-Antagonisten behandelt. Drei Monate später haben sich Hb und Ferritin-Spiegel normalisiert, gleichzeitig sind die Symptome inklusive der blauen Skleren verschwunden.

"Hilfreich, aber oft übersehen"

Blaue Skleren seien ein "häufiger und hilfreicher Befund bei Eisenmangelanämie, der aber oft übersehen wird", schreibt der Autor des Fallberichts Yasuhiro Kano. Erstbeschreiber war William Osler, dem 1908 "eine besondere Brillanz der Augen und eine bläuliche Farbe der Skleren" als Anämiesymptom bei jungen Frauen aufgefallen waren. Später wurde klar, dass die Farbveränderung v. a. bei Eisenmangelanämien auftritt, bei anderen Anä- mien ist sie ein deutlich seltenerer Befund. Ursache der bläulichen Färbung ist eine Abnahme von Kollagenfasern in den Skleren, die die darunterliegenden Gefäße der Uvea durchscheinen lässt.

Andere Ursachen

Blaue Skleren werden auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen beobachtet. Bei der Mehrzahl (über 60 Erkrankungen) handelt es sich um genetische Syndrome, das bekannteste ist die Osteogenesis imperfecta. Ebenfalls assoziiert sein können u. a. das Typ-1-Ehlers-Danlos-, das Marfan- oder das Bloch-Sulzberger-Syndrom. Zu den nichtgenetischen Krankheitsursachen bläulicher Skleren zählen außer der Eisenmangelanämie z. B. auch eine HIV-Infektion oder eine Myasthenia gravis. Außerdem kann die Blaufärbung durch Medikamente induziert sein, hauptsächlich durch eine hochdosierte mehrjährige Behandlung mit dem Antibiotikum Minocyclin.

Quelle: Kano Y. Cleveland Clinic Journal of Medicine 2022; doi: 10.3949/ccjm.89a.22045