Ein Gremium europäischer Experten bezweifelt den Sinn geschlechtsunabhängiger Schwellenwerte für die Hypertoniediagnostik. Verwiesen wird auf eine ganze Reihe geschlechtsspezifischer Differenzen beim Bluthochdruck.

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"Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen steigt für Frauen schon ab niedrigeren Blutdruckwerten im Vergleich zu Männern", lautet eine Kernaussage des Statements zu den Geschlechtsunterschieden bei arterieller Hypertonie. Es stammt vom Council on Hypertension der European Society of Cardiology (ESC), das sich auf 173 Literaturangaben zu einschlägigen Untersuchungen stützt.

Als Gründe sehen die Experten u. a. unterschiedliche Einflüsse der Geschlechtschromosomen und -hormone auf die Blutdruckregulation sowie anatomische Unterschiede wie z. B. die kleineren Arteriendurchmesser von Frauen verglichen mit Männern. "Das stellt die gegenwärtige Praxis in Frage, für beide Geschlechter die gleichen Blutdruckschwellenwerte zu verwenden", so die Autoren. Für Frauen sollten niedrigere Grenzwerte gelten.

Ungeklärt ist indessen, ob Hypertonie von Frauen und Männern anders behandelt werden sollte, was die Therapieziele ebenso einschließt wie die Wahl und Dosierung von Antihypertensiva. Allem Anschein nach erzielt die Reduktion von Salz nur bei Frauen eine substanzielle Senkung des Drucks, während Männer besser auf aerobes Training ansprechen.

Gut beschrieben sind Unterschiede in der medikamentösen Therapie. So reagieren Frauen mit stärkeren Blutdrucksenkungen auf Betablocker und Kalziumkanalblocker.

Das 12-Seiten-Statement behandelt da-rüber hinaus die Entwicklung des Blutdrucks über die Lebensspanne hinweg sowie Geschlechtsunterschiede in der Blutdruckregulation, in Risikofaktoren, Begleit- und Folgekrankheiten. Das gendermedizinische Wissen mit Blick auf Hypertonie habe sich zuletzt wesentlich erweitert, schreiben die Autoren, ein großer Teil dieses Wissens harre aber noch der Übernahme in die klinische Praxis.

Quelle: Gerdts E et al. Eur Heart J 2022; doi: 10.1093/eurheartj/ehac470