Eine 39-jährige Patientin stellte sich mit einem dunkelblauen Nodus an der Unterlippe vor. Die indolente Veränderung war langsam über die letzten Jahre gewachsen. Mittels Glasspatel-Diaskopie konnte sie vollständig weggedrückt werden; es lag also keine über das durchscheinende Blut hinausgehende Eigenfärbung des Knotens vor.

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© J. Dissemond

Der klinische Befund legte eine vaskuläre Läsion nahe, sodass wir in der Zusammenschau sicher die Diagnose Lippenrandangiom (englisch: "venous lake") stellen konnten. Dabei handelt es sich um eine benigne, lakunenartige Venektasie in der oberen Dermis. Typischerweise tritt sie singulär an der Unterlippe auf, seltener auch an den Ohren.

Bezüglich der Pathogenese wird die vermehrte UV-Licht-Exposition als relevant diskutiert. Genaue Zahlen zur Prävalenz liegen nicht vor, da es sich oft um nicht behandlungsbedürftige und daher nicht diagnostizierte Nebenbefunde handelt. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch die Fallzahl. Die Größe beträgt meist zwischen 0,2 mm und 1 cm. Es können ein einzelnes oder mehrere kommunizierende Gefäßchen beteiligt sein. Das Lippenrandangiom bildet sich spontan und kann dann über mehrere Jahre wachsen, bis es zu einer Stagnation kommt. In der Regel tritt keine Spontanregression auf.

Klinisch ähnelt das Lippenrandangiom einem nodulären Melanom. Bei diesem soliden Tumor verhärtet sich allerdings die umgebende Dermis, und er lässt sich nicht mit dem Glasspatel wegdrücken. Darüber hinaus spricht das langsame Wachstum eher gegen ein malignes Geschehen.

Lippenrandangiome sind an sich nicht gefährlich, auch wenn sie gelegentlich nach Traumatisierung zu Blutungen führen können. Sie werden allerdings von einigen Betroffenen als kosmetisch störend empfunden. Sollte die Diagnose nicht eindeutig sein, empfiehlt sich eine Überweisung an eine Dermatologin oder einen Dermatologen.

Nur in seltenen Einzelfällen sollte zum Ausschluss einer Neoplasie eine Biopsie bzw. Exzision erfolgen. Therapeutisch kann ansonsten eine Polidocanol-Sklerosierung oder Kryotherapie angeboten werden, wobei diese Verfahren heutzutage weitgehend von Laserbehandlungen abgelöst wurden.

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Prof. Dr. med. Joachim Dissemond

Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstr. 55, D-45122 Essen