Am dritten Tag unserer Wanderung erwähnte eine Freundin beiläufig: "Schau mal, was ich da in der Kniekehle habe. Es juckt und schmerzt nicht." Und was sehe ich? Kein Zweifel, ein klassisches Erythema migrans. Zwei Wochen zuvor war sie schon einmal gewandert - mit kurzen Hosen.

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Leider hatte ich den Arztausweis in der Praxis vergessen, sodass ich kein Doxycyclin-Rezept ausstellen konnte. Da wir spät im Tal ankamen, mussten wir dafür auch noch in die Notfallambulanz des Krankenhauses. Dort trafen wir auf einen jungen Kollegen, der uns die Diagnose nicht glauben wollte. Man sehe ja den roten Punkt in der Mitte gar nicht! Es könne auch ein Mückenstich oder ein Sonnenbrand sein! Und vor einer Antibiose müssten wir ja erst das Ergebnis der Borrelien-Serologie abwarten!

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Superbrain hat alle Regeln im Kopf!

Ich war meiner Freundin den Kampf ums Doxycyclin schuldig. Ich outete mich als Allgemeinmedizinerin und erläuterte, dass das Erythema migrans eine Blickdiagnose sei, die Serologie ohnehin noch negativ sein könne und die frühe Therapie sehr wichtig sei. Zudem müssten wir doch unser Trekking fortsetzen. Er reagierte verärgert: "Mit einer Borreliose dürfen Sie ohnehin nicht wandern! Aber wenn Sie ohnehin alles besser wissen, muss ich erst meinen Vorgesetzten fragen!"

Kurz darauf kam der Oberarzt um die Ecke, musterte uns grußlos von oben bis unten, würdigte jedoch die umstrittene Kniekehle keines Blickes, drehte direkt ab. Schließlich kehrte unser junger Kollege wieder und gab uns unfreundlich und widerstrebend das Rezept. Gloria, victoria! Und die Moral von der Geschicht? Vergiss den Arztausweis bloß nicht!