Die multiple Sklerose (MS) zählt zu den wenigen Indikationen, für die es ein zugelassenes Fertigarzneimittel mit Cannabinoiden gibt. Da es nicht für alle Patienten geeignet ist, erhalten MS-Patienten nicht selten auch Betäubungsmittel-Verordnungen mit Blüten und Blütenextrakten von medizinischem Cannabis. Die Praxis zeigt, dass sie das Fortschreiten der Erkrankung nicht verhindern, aber viele Begleitsymptome mildern können.

Seit 2013 kann das Präparat Sativex mit Tetrahy-drocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) in einem Verhältnis von annähernd 1:1 bei mittelschwerer bis schwerer Spastik bei MS verordnet werden, wenn andere antispastische Arzneistoffe nicht ausreichend wirksam waren. Es handelt sich um ein Mundspray, das auf die Wangenschleimhaut oder unter die Zunge appliziert wird. Nach einer Aufdosierungsphase können Patientinnen und Patienten bis zu 12 Hübe pro Tag anwenden, wobei zwischen zwei Applikationen eine Wartezeit von 15 Minuten einzuhalten ist.

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© Matthias Stolt, Stock Adobe (Symbolbild mit Fotomodellen)

Bei multipler Sklerose kann u. U. ein Cannabis-Mundspray gegen mittelschwere bis schwere Spastik verordnet werden.

Obwohl das Arzneimittel wirksam und gut verträglich ist, tolerieren es einige Patienten nicht und setzen es ab, berichtete Dr. Felicita Heidler, Leiterin der MS-Spezialambulanz, Ökumenisches Hainich Klinikum Mühlhausen/Thüringen, auf dem Cannabis Congress in Berlin. Zu den Nebenwirkungen zählen u. a. ein bitterer Geschmack und die Bildung von Aphthen auf der Mundschleimhaut.

MS ist eine derzeit noch unheilbare Erkrankung, die neben der Spastik mit zahlreichen weiteren Begleitsymptomen verbunden sein kann. Dazu zählen Schmerzen, Inkontinenz der Blase und des Darms, Seh- und Augenbewegungsstörungen, Schluckstörungen, Probleme bei der Bewegung und Koordi- nation, Paresen, Sensibilitätsstörungen, Fatigue, Schlafstörungen, kognitive Störungen und Störungen der Sexualfunktionen.

Durch die MS-Basismedikamente werden diese Symptome in der Regel nicht gelindert, sodass medizinische Cannabiszubereitungen wie vaporisierte Blüten hilfreich sein können. Damit konnte Heidler bei ihren Patienten insbesondere Schmerzen, die zu den unterschätzten MS-Symptomen zählen, gut lindern. Im Unterschied zu Opioiden, bei denen in zu hohen Dosen das Risiko für eine Atemdepression droht, ist dieses bei Cannabinoiden nicht zu befürchten. Den Grund dafür sieht Heidler darin, dass im Bereich des Atemzentrum kaum Cannabinoid-Rezeptoren vorhanden sind.

Quelle: Dr. med. Felicita Heidler Cannabis bei MS. Vortrag auf dem 3. Medicinal Cannabis Congress, Berlin, 11.6.2022.

Unbefriedigend: Probleme bei der Genehmigung

Seit März 2017 dürfen Ärzte alle Cannabisblüten und Blütenextrakte sowie auch Rezepturen mit Dronabinol oder Nabilon auf einem Betäubungsmittelrezept verordnen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Patient an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet, eine andere medizinische Leistung nicht zur Verfügung steht oder nicht angewendet werden kann sowie durch die Cannabis-Verordnung Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht [1].

Die Verordnung muss von der Krankenkasse des Patienten genehmigt werden, wobei überprüft wird, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Obwohl viele ihrer MS-Patienten über deutliche Linderungen ihrer Beschwerden durch Cannabis berichten, werden noch immer viele Anträge abgelehnt - für Heidler ist dies eine sehr unbefriedigende Situation.