Sie hatten ihn sich so sehr gewünscht. Sie hatten so lange auf ihn gewartet. Sie waren nicht ganz so alt wie Sara und Abraham, aber die biologische Uhr tickte bereits bedenklich. Und dann war er am Ende doch noch auf dem Weg, ihr "Stammhalter".

Aber auch die errechnete Ankunft verzögerte sich. Der eingereichte Urlaub des Mannes wurde immer kürzer und kürzer, bis schließlich, an seinem letzten freien Tag, der Spross doch noch das Licht der Welt erblickte. Gleich danach musste der frischgebackene Vater seine neue Arbeitsstelle in hoher leitender Position 60 Kilometer entfernt antreten.

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© Dobrila Vignjevic / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Was will der Kleine ihr seit Stunden sagen?

Mutter und Kind wurden schließlich aus der Klinik nach Hause entlassen. Schon kurze Zeit später erhielt ich einen telefonischen Hilferuf der Mutter. Das Kind schreie seit Stunden wie am Spieß und könne nicht beruhigt werden. Sie müsse den Kleinen sofort bei mir vorstellen. Sprach's und kam mit dem Taxi, das schreiende Bündel fest an sich gepresst, zu mir in die Praxis. Der Vater raste über die Autobahn und kam hinzu. Panik in beiden Gesichtern.

Nach gründlicher Untersuchung des prächtigen Kerlchens fand sich kein pathologsicher Befund, auch keine Hodentorsion - alles gut, könnte man meinen. "Wann hat ihr Kind eigentlich zum letzten Mal etwas zu essen bekommen?" fragte ich die völlig überforderte Mutter. "Ach so, ähm ...", war die Antwort. Der Kleine bekam ein Fläschchen, beruhigte sich und schlief selig ein.