Mittelstrahlurin (MSU) ist unter Praxisbedingungen möglicherweise nicht besser für die Urindiagnostik geeignet als andere nichtinvasive Methoden. Ein dänisch-spanisches Forscherteam hat sechs Studien zum Thema ausgewertet. Die Forscher vermuten, dass v. a. ältere Frauen mit der schwierigen Technik oft nicht zurechtkommen.

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© Benchamat, Stock Adobe

Welches die beste Methode ist, bei Frauen mit Symptomen einer Harnwegsinfektion (HWI) auf nichtinvasivem Weg eine Urinprobe zu gewinnen, konnte die Literaturübersicht zwar nicht klären, die Ergebnisse deuten aber eines an: Der Aufwand, der für die Gewinnung von sauberem Mittelstrahlurin erforderlich ist, scheint sich nicht wirklich zu lohnen. Keine der untersuchten nichtinvasiven Techniken zur Uringewinnung lieferte eindeutig bessere Ergebnisse als andere. Das galt insbesondere auch für den Mittelstrahlurin, der in vielen allgemeinärztlichen Praxen gefordert wird.

Zwei der sechs Studien mit insgesamt 1.010 HWI-Patientinnen aus Allgemeinarztpraxen hatten MSU-Proben mit oder ohne vorherige Reinigung der Dammregion verglichen und als Bewertungsmaßstab die Anzahl koloniebildender Einheiten (CFU) herangezogen. Diesbezüglich gab es in beiden Studien keinen nennenswerten Unterschied. Ähnliches galt für den Vergleich MSU mit Reinigung versus auf irgendeine Art zu Hause gewonnene Proben: In beiden Fällen war die diagnostische Genauigkeit annähernd gleich.

In einer randomisierten Studie schließlich hatte man drei Gruppen verglichen: MSU mit Reinigen des Perineums, einmal mit und einmal ohne zusätzliches Einführen eines Vaginaltampons, sowie Abgabe einer Urinprobe in ein sauberes Gefäß ohne weitere Instruktionen. Hier war die Kontaminationsrate bei der beliebigen Abgabe etwas höher, jedoch ohne statistische Relevanz.

Eine fünfte Studie stellte zwei Gruppen gegenüber, die unterschiedlich über die Gewinnung von MSU informiert worden waren: einmal verbal, das andere Mal mithilfe einer Broschüre. Interessanterweise führte die rein mündliche Instruktion dazu, dass die Urinproben deutlich häufiger kontaminiert waren (10 oder mehr Epithelzellen pro Hauptgesichtsfeld in 39% gegenüber 25%).

Die aktuellste Studie in der Auswertung stammt aus Dänemark: Hier wurden MSU-Proben mit Proben verglichen, die zu Beginn des Wasserlassens gewonnen worden waren. Bei Letzteren war die diagnostische Genauigkeit deutlich geringer, was den Forschern zufolge v. a. auf die Anwesenheit von Enterococcus-Spezies zurückzuführen war.

Evidenzgrad gering

Der Evidenzgrad der ausgewerteten Studien sei insgesamt gering gewesen, so die Autoren. Wegen der hohen Heterogenität sei nur eine narrative Übersicht und keine Metaanalyse möglich gewesen. Ihr Fazit: "Es gibt keine einheitliche Evidenz, die einen Unterschied in der diagnostischen Genauigkeit oder dem Anteil kontaminierter Proben zwischen den einzelnen Techniken der Uringewinnung nahelegt." Dabei sei zu bedenken, dass viele Frauen, insbesondere ältere, Probleme hätten, die Vorgaben für die Gewinnung von MSU einzuhalten. V. a. das Gespreizthalten der Labien während des Wasserlassens sei schwierig und werde wahrscheinlich in den wenigsten Fällen korrekt umgesetzt. "Je leichter und akzeptabler die Methode, desto besser."

Quelle: Llor C et al. Family Practice 2022; doi: 10.1093/fampra/cmac058