In den letzten Jahren wird der "Trauer vor dem Tod" mehr Aufmerksamkeit geschenkt: Wer einen Angehörigen pflegt, fühlt sich oft schon vor dessen Tod beklommen und traurig. Nun zeigt eine Studie, dass gerade diese Menschen auch für eine komplizierte, prolongierte Trauer nach dem Tod anfällig sind.

Für eine Übersichtsanalyse wurden 55 Studien ausgewählt, in denen die Trauer vor und nach dem Tod bei Menschen, die einen dementen Angehörigen gepflegt hatten, untersucht wurde. Der gepflegte Angehörige war in den meisten Fällen der Ehepartner oder ein Elternteil. In den Studien wurden verschiedenste Trauer-Skalen eingesetzt. Nur fünf Arbeiten waren von hoher Qualität.

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Trauer kann schon vor dem Tod des Angehörigen einsetzen.

Ca. 10-18% der Angehörigen zeigten Zeichen einer Trauer vor dem Tod. Das höchste Risiko konnte bei pflegenden Ehepartnern unabhängig von Alter oder Geschlecht der gepflegten Person festgestellt werden. Es fanden sich Hinweise, dass das Ausmaß der Trauer mit der Schwere der Demenz sowie dem Vorliegen schwerer Verhaltensstörungen und psychotischen Symptomen ansteigt.

Für eine komplizierte Trauer nach dem Tod fanden die Studien eine Prävalenz von 20-26%. Ihr ging häufig eine Trauer vor dem Tod voraus. Eine Depression des pflegenden Angehörigen war oft verbunden mit einer komplizierten Trauer nach dem Tod.

Quelle: Crawley S, Sampson EL, Moore KJ et al. Grief in family carers of people living with dementia: a systematic review. Int Psychogeriatr 2022, online 28. Januar; doi: 10.1017/S1041610221002787

MMW-Kommentar

Die diskutierten Studien eignen sich nicht gut für eine numerische Zusammenfassung. Klar scheint aber zu sein, dass die Trauer vor dem Tod nicht eine Art von vorgezogener Verarbeitung ist, sondern vielmehr auf einen komplizierten und prolongierten Trauerverlauf nach dem Todesfall hinweist.

Wie man den Betroffenen helfen kann, bleibt unklar. Bei vielen wird man aber die Kriterien einer mittelgradigen Depression erfüllt sehen. Aufgrund der Häufigkeit der Situation wären größere Therapiestudien wünschenswert. Das in den letzten Jahren propagierte Advanced Care Planning (Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen) sollte auch zu der Beschäftigung mit den allerletzten Fragen führen, z. B. Bestattungsmodalitäten etc.

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Prof. Dr. med. M. Hüll

Klinik für Alterspsychiatrie und -psychotherapie, Emmendingen