Die Grenzen zwischen dem ärztlich begleiteten Suizid und dem Töten auf Verlangen sind fließend. In Deutschland wird dieser Aspekt ärztlichen Handelns am Lebensende von Patientinnen und Patienten praktisch ausgeblendet. Auf dem diesjährigen Internistenkongress (DGIM) war er ein wichtiges Thema.

"Wir müssen der Versorgung am Lebensende mehr Zeit und Raum geben, um ein Gleichgewicht zwischen dem therapeutisch und technisch Machbaren, dem medizinisch Sinnvollen und - allem voran - dem Patientenwunsch zu finden", sagte der scheidende DGIM-Vorsitzende Prof. Markus M. Lerch, München, zur Eröffnung des Internistenkongresses. Für Letzteres sei eine sprechende Medizin unerlässlich - unabhängig davon, ob nun die Betreuung eines Schwerstkranken oder Sterbenden in der Palliativmedizin, Intensivmedizin, beim Hausarzt oder bei einer anderen Fachdisziplin verortet sei.

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© motortion, Stock Adobe (Symbolbild mit Fotomodell)

Der Patient am Lebensende: Hausärzte müssen sich den damit verbundenen Fragen stellen.

Lebensverlängerung um jeden Preis?

Die Fortschritte in der Medizin machten es immer öfter möglich, Leben zu erhalten. Das konfrontiere Ärztinnen und Ärzte immer drängender mit schwierigen Fragen: Ist eine Lebensverlängerung um jeden Preis sinnvoll? Ist sie im Sinne des Patienten? Ist der Wille des Patienten überhaupt bekannt? Handle ich als Arzt in seinem oder meinem eigenen Interesse? Bin ich bereit, auf die Prioritäten und Lebensentwürfe meiner Patienten einzugehen, selbst dann, wenn sie meinem Selbstbild als Heilenden entgegenstehen?

Lerch drängte darauf, dass sich Hausärzte und Internisten mit diesen Fragen beschäftigen. Besonders wichtig sei die Aufarbeitung der Problematik, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid aufgeworfen hat. "Dadurch ist ein Vakuum entstanden. Dem Patienten wird bescheinigt, dass er ein Anrecht darauf hat, ärztlich begleitet zu werden, wenn er sein Leben beenden will. Aber wir setzen uns nicht wirklich damit auseinander!"

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Aktueller Bericht vom 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 30.4.-3.5.2022, Wiesbaden

Dabei seien viele ethische und rechtliche Fragen noch ungeklärt, es müsse viel breiter über die Regeln diskutiert werden und darüber, wo die Grenzen liegen. "Wir können das nicht Juristen oder Politkern überlassen, wir müssen diese zumindest beraten", so Lerch.

Er nannte drei Aspekte: In den Ländern, in denen assistierter Suizid bereits praktiziert wird, steigen die Zahlen. In den Niederlanden sind laut DGIM-Chef schon 4% der Todesfälle assistierte Suizide. Zweitens wird der assistierte Suizid häufig zu Hause praktiziert - gerade Hausärzte müssen die zutiefst persönliche Entscheidung treffen, wie sie sich dazu verhalten wollen. Drittens ist die Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen fließend. "In Ländern wie Benelux und Kanada etwa, in denen beides erlaubt ist, findet ärztlich begleiteter Suizid durch Selbstmedikation überhaupt nicht mehr statt, sondern ausschließlich Tötung auf Verlangen", so Lerch. "Ärzte und Pflegende dort argumentieren: 'Ich kann dem Patienten nicht zumuten, ihn nicht in den Tod hinein zu begleiten. Es ist viel zu gefährlich, viel zu riskant, viel zu ineffizient.'"

Lerch wünschte sich einen ärztlichen Konsens bezüglich der Regeln des assistierten Suizids und Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Diskussion: "Da wir als Ärzte ja am Ende die Handelnden sind, sollten wir uns, auch im Sinne unserer Patienten, jetzt diesen Fragen stellen und uns jetzt damit auseinandersetzen".