Die medizinische Versorgung wird komplizierter, zugleich verbringen Ärztinnen und Ärzte immer mehr Zeit mit Verwaltung und Technik. Wir brauchen dringen eine Trendumkehr - oder, realistischer: ein Bürokratiehonorar.

Die Praxen werden mit Dokumentationspflichten überschüttet, die wertvolle Arzt-Patienten-Zeit wird in Arzt-Dokumentations-Zeit umgewandelt. Am Ende jeder Sprechstunde widmen wir uns Versicherungsanfragen. Redundante Dokumentation bei mehreren DMP bei einem Patienten sind ein tägliches Problem in den hausärztlichen Praxen. Auch viele der neuen digitalen Anwendungen - elektronische AU, E-Rezept, die unausgereifte Telematik -sind Zeitfresser, die Verwaltungsaufgaben in die Praxen verschieben. Sie entziehen dem Versorgungssystem nicht nur Arztzeit, sondern auch Geld.

Eine Verbesserung der medizinischen Versorgung ist durch diese Dokumentationen nicht zu erwarten, sie dienen häufig nur der Kontrolle und vermeintlich der Qualitätssicherung durch KVen und Krankenkassen. Diese sinnfreien Arbeiten müssen eingestellt oder deutlich reduziert werden, denn letztendlich entscheiden Arzt und Patient gemeinsam über Diagnostik und Therapie.

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© AndreyPopov / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Die neuen Telematik-Anwendungen bieten bisher wenig Entlastung.

Zurzeit kompensieren Praxisinhaber*innen diese zusätzlichen Anforderungen durch Verlängerung ihrer eigenen Arbeitszeit - also in einer Art Selbstausbeutung. Für die Familien und für die Work-Life-Balance ist das nicht gut. Dass das nicht gut ankommt, sieht man an der zunehmenden Flucht des ärztlichen Nachwuchses in patientenferne Bereiche. Besonders für den ärztlichen Nachwuchs macht das eine Praxisübernahme nicht attraktiver.

Die gemeinsame Selbstverwaltung ist zeitnah gefordert, die Praxen von Bürokratie zu entlasten und diese Aufgaben in ihre eigenen Strukturen zu übernehmen. Die Verwaltungsarbeit gehört zurück an die Schreibtische in den KVen und den Krankenkassen! Sofern die Praxen als ausgelagerter Raum für Bürokratie herhalten, müssen sie für diese Leistungen zusätzlich bezahlt werden. In den Honoraren findet sich dieser Arbeitsaufwand aktuell nicht wieder. Zudem gibt es nicht genug Ärzt*innen, die diese Arbeit erledigen können.

Ärztinnen und Ärzte brauchen mehr Zeit

Die Lösung liegt auf der Hand: ein Bürokratieabbau und ein Tagesbudget für die Schreibtischarbeit! Wenn KVen und Krankenkassen es mit der Entbürokratisierung ernst meinen, sie die Qualität der Versorgung halten und sogar noch verbessern wollen, dann brauchen wir mehr Ärzte, mehr Zeit am Patienten, mehr Zeit für qualifizierte Fortbildung pro Tag, mehr Zeit für Kommunikation mit kooperierenden Berufsgruppen.

Da dies ja nicht zu erwarten ist, wäre eine Veränderung des Honorarsystems ein guter Schritt. Zeit und Kosten für die Bürokratie sollten budgetiert und im Vorwegabzug ausgezahlt werden. Dann würde schnell klar, wie viel Arzt-Patienten-Zeit verloren geht und wie gefährdet die Versorgung ist.

Schaffen wir eine bessere, humanere Arbeitswelt! Stellen wir unsere Forderungen an KVen und Krankenkassen! Erklären Sie Ihrem Kommunalpolitiker, warum ein Sozialsystem nicht geeignet ist, nach industriellen Gewinnmaximierungsideen geführt zu werden. Das schulden wir uns und unseren Nachfolger*innen.

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Dr. med. Oliver Funken

Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein