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Ein zentraler Punkt der aktualisierten Leitlinie Zöliakie ist die Ausweitung der korrekten serologischen Diagnostik. Wann und wie sie erfolgen sollte, ist u. a. Thema im Interview mit Leitlinienkoordinator PD Dr. med. Michael Schumann von der Berliner Charité.
MMW: Die Leitlinie listet sehr viele Beschwerden, Erkrankungen und Mangelzustände auf, bei denen eine Zöliakie in Betracht gezogen werden soll/sollte. Würde die vollständige Umsetzung nicht eine Überdiagnostik erzeugen?
Dr. Michael Schumann: Im Moment haben wir in Deutschland eher eine Unterdiagnostik. Wir gehen von einer Prävalenz von knapp 1% aus, ungefähr die Hälfte der Erkrankten ist nicht diagnostiziert. Diese Patienten werden deshalb nicht entdeckt, weil sie nicht einen BMI von 15 oder viele Stuhlgänge am Tag haben, sondern mono- oder oligosymptomatisch sind. Deswegen ist es wichtig, nicht nur bei einer Reifestörung von Kindern, sondern auch bei monosymptomatischen Patienten etwa mit mikrozytärer Anämie oder Osteopenie, verzögerter Pubertät, nicht erfülltem Schwangerschaftswunsch, eine Zöliakie in die Differen- zialdiagnostik einzubeziehen. Also Pa- tienten, bei denen man bislang vielleicht gedacht hat: Das kann doch keine Zöliakie sein.
Sparen können wir, indem Hausärzte im Verdachtsfall nicht alle Antikörper plus die Genetik veranlassen, sondern nur die notwendige Basisdiagnostik durchführen, also IgA-Antikörper gegen Gewebstransglutaminase (tTGA-IgA) und Gesamt-IgA, und dafür ein paar mehr Patienten untersuchen. Aktuell haben wir somit eine Überdiagnostik beim Einzelnen und eine Unterdiagnostik in der Breite.
MMW: Im Diagnostik-Kapitel der Leit-linie hat sich einiges geändert. Welche Neuerungen sind besonders praxisrelevant?
Schumann: Eine ganz wichtige Neuerung betrifft die Diagnostik bei Kindern. Wir haben uns nun wie die europäische Fachgesellschaft dazu durchgerungen, bei Kindern unter bestimmten Bedingungen auf eine Ösophagogastroduodenoskopie zu verzichten. Die neue Empfehlung lautet, bei einer tTGA-IgA-Konzentration, die zehnfach über dem oberen Grenzwert liegt, eine Zöliakiediagnose ohne Biopsie anzubieten. Zur Absicherung sollen in einer 2. Blutprobe die IgA-Antikörper gegen Endomysium bestimmt werden.
"Einigen Patienten bliebe die Gastroskopie erspart"
MMW: Hat sich auch in der Diagnostik bei Erwachsenen etwas geändert?
Schumann: Bei Erwachsenen haben wir auch versucht, einen stärkeren Fokus auf die Serologie zu legen. Bisher ist es so, dass bei 70-75% der diagnostizierten Patienten zuerst ein auffälliger histologischer Befund entdeckt und dann die Serologie nachholt wird. Dass ein Patient zuerst serologisch entdeckt und dann gastroskopiert wird, ist immer noch die Ausnahme. Das sollte aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Damit würde die Trefferwahrscheinlichkeit und die Akkuratheit der Diagnostik steigen und wahrscheinlich auch einigen Patienten die Gastroskopie erspart werden.
MMW: Viele Menschen ernähren sich glutenfrei. Welche Folgen hat das für die Abklärung eines Zöliakieverdachts?
Schumann: Wenn Patienten sich mehrere Monate lang glutenfrei ernährt haben, ist eine negative Zöliakie-Serologie-Diagnostik nicht valide. Eine Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung aufgrund von Beschwerden sollte daher niemals erfolgen, bevor eine Zöliakie ausgeschlossen wurde. Wenn Patienten sich nur glutenreduziert ernähren, kann man eine tTGA-Serologie versuchen, muss aber wissen, dass sie mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit falsch negativ ausfällt. Man kann in diesem Fall mit der gleichen Blutentnahme die Genetik machen, als Ausschlusstest: Wenn sie positiv ist, ist nichts gewonnen, denn das gilt für 30% der Bevölkerung. Aber wenn sie negativ ausfällt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Zöliakie drastisch gesunken. Sollten bei dieser Blutentnahme die tTGA positiv sein, schließt sich weiterhin die Gastroskopie an. Bei einem unauffälligen serologischen Befund muss man mit dem Patienten die Reexposition besprechen. Das ist nicht einfach, wenn Patienten unter einer glutenhaltigen Ernährung sehr gelitten haben.
MMW: Ein eigenes Kapitel ist anderen Weizen-assoziierten Erkrankungen gewidmet. Bereitet die Abgrenzung zur Zöliakie im Alltag manchmal Probleme?
Schumann: Die Abgrenzung zur Zöliakie ist eigentlich gut möglich. Das Problem ist, dass sie nicht gemacht wird. Der Patient bekommt von einer Chatgruppe, manchmal auch einem Arzt, den Tipp, gegen seine Beschwerden einfach mal eine glutenfreie Diät zu probieren. Dadurch kann es passieren, dass der Patient dauerhaft keine etablierte Diagnose hat. Deswegen ist es ganz wichtig, dass immer zuerst unter glutenhaltiger Kost eine Zöliakie ausgeschlossen wird.
Das Interview führte Dr. Beate Schumacher.
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Schumacher, B. "Die Hälfte der Erkrankten ist nicht diagnostiziert". MMW - Fortschritte der Medizin 164, 11 (2022). https://doi.org/10.1007/s15006-022-1125-3
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