Ein zentraler Punkt der aktualisierten Leitlinie Zöliakie ist die Ausweitung der korrekten serologischen Diagnostik. Wann und wie sie erfolgen sollte, ist u. a. Thema im Interview mit Leitlinienkoordinator PD Dr. med. Michael Schumann von der Berliner Charité.

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Interview

PD Dr. med. Michael Schumann

Medizinische Klinik I für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie Charité - Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin

"Einigen Patienten bliebe die Gastroskopie erspart"

MMW: Hat sich auch in der Diagnostik bei Erwachsenen etwas geändert?

Schumann: Bei Erwachsenen haben wir auch versucht, einen stärkeren Fokus auf die Serologie zu legen. Bisher ist es so, dass bei 70-75% der diagnostizierten Patienten zuerst ein auffälliger histologischer Befund entdeckt und dann die Serologie nachholt wird. Dass ein Patient zuerst serologisch entdeckt und dann gastroskopiert wird, ist immer noch die Ausnahme. Das sollte aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Damit würde die Trefferwahrscheinlichkeit und die Akkuratheit der Diagnostik steigen und wahrscheinlich auch einigen Patienten die Gastroskopie erspart werden.

MMW: Viele Menschen ernähren sich glutenfrei. Welche Folgen hat das für die Abklärung eines Zöliakieverdachts?

Schumann: Wenn Patienten sich mehrere Monate lang glutenfrei ernährt haben, ist eine negative Zöliakie-Serologie-Diagnostik nicht valide. Eine Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung aufgrund von Beschwerden sollte daher niemals erfolgen, bevor eine Zöliakie ausgeschlossen wurde. Wenn Patienten sich nur glutenreduziert ernähren, kann man eine tTGA-Serologie versuchen, muss aber wissen, dass sie mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit falsch negativ ausfällt. Man kann in diesem Fall mit der gleichen Blutentnahme die Genetik machen, als Ausschlusstest: Wenn sie positiv ist, ist nichts gewonnen, denn das gilt für 30% der Bevölkerung. Aber wenn sie negativ ausfällt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Zöliakie drastisch gesunken. Sollten bei dieser Blutentnahme die tTGA positiv sein, schließt sich weiterhin die Gastroskopie an. Bei einem unauffälligen serologischen Befund muss man mit dem Patienten die Reexposition besprechen. Das ist nicht einfach, wenn Patienten unter einer glutenhaltigen Ernährung sehr gelitten haben.

MMW: Ein eigenes Kapitel ist anderen Weizen-assoziierten Erkrankungen gewidmet. Bereitet die Abgrenzung zur Zöliakie im Alltag manchmal Probleme?

Schumann: Die Abgrenzung zur Zöliakie ist eigentlich gut möglich. Das Problem ist, dass sie nicht gemacht wird. Der Patient bekommt von einer Chatgruppe, manchmal auch einem Arzt, den Tipp, gegen seine Beschwerden einfach mal eine glutenfreie Diät zu probieren. Dadurch kann es passieren, dass der Patient dauerhaft keine etablierte Diagnose hat. Deswegen ist es ganz wichtig, dass immer zuerst unter glutenhaltiger Kost eine Zöliakie ausgeschlossen wird.

Das Interview führte Dr. Beate Schumacher.