Kinder haben oft eine überraschend präzise Wahrnehmung der Erwachsenen-Realität. Das ist mir spätestens seit Anfang der 70er-Jahre klar, als eine Freundin eine erstaunliche gedankliche Transferleistung zeigte. Sie verbrachte ihre Kindheit auf einem Gutshof, wo es noch eine volle Landwirtschaft mit Feldern und vielen Tieren gab. Die Kinder waren überall unterwegs.

Vor dem wuchtigen Bullen im Stall, der dort gut gesichert und von den Kühen getrennt gehalten wurde, nahmen sich alle in Acht. Ab und zu erlebten sie, wie eine Kuh zwischen zwei Eisenbügeln angekettet und der Bulle von hinten an sie herangeführt wurde, sodass er aufspringen konnte. Danach gab es dann irgendwann ein neues Kälbchen.

Eines Tages kam dann in der Schule der Aufklärungsunterricht dran. Dort wurde der Komplex Fortpflanzung für die Spezies Mensch erklärt - der eigentliche Zeugungsakt indes blieb für die Kinder damals noch im Nebulösen. Unsere kleine Naturforscherin aber konnte genau den im Unterricht fehlenden Handlungsteil ergänzen - sie hatte es ja oft genug gesehen!

Sie rechnete sich Eins und Eins zusammen und war nun ein aufgeklärtes Mädchen. Beim Abendbrot platzte sie mit einer letzten wichtigen Frage heraus: "Vati, kettest du eigentlich die Mutti auch immer an, bevor du drauf springst?" Die Antwort ist nicht überliefert, die Frage blieb aber als Redewendung mit promptem Lacherfolg in der Familie.