Angst und Depressionen sind bei jüngeren Patienten mit Schwindelsymptomen häufiger anzutreffen als bei älteren. Das scheint sich auch auf die Versorgung auszuwirken.

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© Maridav, iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Jüngere Patienten mit Schwindelsymptomen bekommen häufiger Medikamente verordnet als Senioren.

Ein Forscherteam um Tino Prell von der Universitätsklinik Jena hat sich die Daten von 765 Patienten mit chronischem Schwindel vorgenommen, die sich an einem Behandlungsprogramm der Jenaer Schwindel-ambulanz beteiligt haben. 45% von ihnen waren 60 Jahre oder älter.

Die Intensität der Schwindelsymptome war in beiden Altersgruppen gleich, doch die Patienten unter 60 Jahren wurden durch die Beschwerden stärker belastet. Die älteren Betroffenen hatten ihre Symptome bereits länger, darüber hinaus gab es bei ihnen häufiger eine somatische Diagnose (75% vs. 35%). Deutlich öfter war bei Älteren ein multisensorisches Defizit zu beobachten (31% vs. 2%). Bei der Diagnose eines persistierenden postural-perzeptiven Schwindels (PPPD), einer relativ neuen Diagnosekategorie, lagen die jüngeren Schwindelpatienten jedoch klar vor den älteren (65% vs. 25%). Nichtsomatische psychogene Diagnosen betrafen generell vor allem Patienten unter 60 (56% vs. 19%).

> 50% der von Patienten in der Hausarztpraxis geschilderten Schwindelzustände sind nicht beweisend oder hoch plausibel einer Diagnose zuzuordnen.

Dabei war festzustellen, dass jüngere Patienten vor der Konsultation der Schwindelambulanz häufiger stationär behandelt worden waren (24% vs. 16%). Jene mit nichtsomatischen Diagnosen hatten ganz generell mehr Kontakt mit Einrichtungen des Gesundheitssystems. Was die Therapie des Schwindels anging, zeigte sich, dass ältere Patienten seltener Medikamente erhielten als jüngere (50% vs. 60%), weniger Physiotherapie (41% vs. 52%) und weniger psychologische Hilfe (12% vs. 20%) bekamen.

Prell und Kollegen vermuten, dass die Unterschiede in der Nutzung von medizinischen Leistungen unter anderem auf den höheren Grad von Ängstlichkeit unter den Jüngeren zurückgehen, da dies zu verstärkter Suche nach Hilfe führen kann. Zudem sorgen sich jüngere Patienten womöglich auch noch mehr um ihre Arbeitsfähigkeit, was ebenfalls zu früheren Kontakten mit Medizinern beitragen könnte.

Die Studienpatienten wurden in einer Schwindelambulanz behandelt. Alle waren körperlich und geistig selbstständig; ob sich die Ergebnisse daher auch auf Patienten übertragen lassen, die mehr Einschränkungen und Defizite aufweisen, ist offen. Zudem gab es in der Kohorte relativ wenige Patienten mit benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel, einer gängigen Ursache von Schwindelsymptomen. Auch dieser Umstand zeugt von einem Selektionsbias.

Quelle: Prell T et al. Front Med (Lausanne) 2022; doi: 10.3389/fmed.2022.852187

Quelle: S3-Leitlinie Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis, AWMF-Register-Nr. 053-018