Kinder mit schwerer spinaler Muskelatrophie hatten bis vor wenigen Jahren kaum Überlebenschancen. Inzwischen sind drei wirksame Therapien zugelassen. Sie ermöglichen vielen Betroffenen ein weitgehend normales Leben oder lindern die Beschwerden erheblich.

Bis vor einigen Jahren standen für Patienten mit spinaler Muskelatrophie (SMA) nur symptomatische Therapien zur Verfügung. Insbesondere schwer und früh Betroffene mit der genetischen Erkrankung haben ohne eine kausal wirksame Therapie nur eine geringe Lebenserwartung: Bei den früh auftretenden Formen (Typ 0 und Typ 1) sterben die Kinder meist innerhalb von zwei Jahren, mit weniger schweren Formen überlebten sie zwar häufig, hatten aber oft erhebliche Beeinträchtigungen, etwa Probleme beim Gehen und Stehen. Dies hat sich nun fundamental geändert: Rechtzeitig erkannt, lässt sich eine schwere Erkrankung durch die neuen Therapien meist verhindern, und selbst Erwachsene mit SMA können ihre Situation deutlich verbessern.

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© Suzanne Grala, Science Photo Library (Symbolbild mit Fotomodell)

Profitierte von einer der modernen Therapieoptionen: Junge Frau mit spinaler Muskelatrophie.

Betroffene Kinder sterben oft an Ateminsuffizienz

Ursache von SMA ist fast immer eine Mutation im SMN1-Gen. Das Kürzel steht für "survival of motor neuron". Ohne SMN-Protein sterben Motoneuronen sehr früh in der Entwicklung ab. Zwar gibt es mit SMN2 noch ein Reserve-Gen, dieses produziert im Vergleich zu funktionsfähigem SMN1 aber rund 90% weniger SMN. Immerhin liegt SMN2 meist in mehreren Kopien vor, die das SMN-Defizit teilweise kompensieren können.

Mit den SMA-Typen 0 oder 1 lernen Kinder aufgrund ihrer Muskelschwäche nie, selbstständig zu sitzen, und sterben meist an Ateminsuffizienz. Kinder mit anderen SMA-Formen (Typ 2 und 3) über-leben meist, gehen und stehen aber oft nicht selbstständig, atmen flach und können schlecht schlucken.

Die erste kausale Therapie wurde 2017 mit dem Anti- sense-Therapeutikum Nusinersen (Spinraza®) zugelassen. Es korrigiert das Spleißen der SMN2-prä-mRNA, sodass diese normales SMN-Protein produziert. Das Medikament wird intrathekal verabreicht, nach einem initialen Zyklus mit vier Infusionen ist eine Behandlung alle vier Monate nötig. Schwer erkrankte Kinder können dadurch überleben und zeigen bei einer frühen Therapie eine fast normale motorische Entwicklung. Die Therapie ist aber auch bei milderem Verlauf und späterem Symptombeginn noch wirksam. Studien deuten zudem auf einen Nutzen für Erwachsene hin: Der Krankheitsverlauf lässt sich oft stabilisieren und die Motorik verbessern.

Voraussetzung für hohen Therapieerfolg: Ein früher Behandlungsbeginn

2020 wurde das Gentherapeutikum Zolgensma® zugelassen. Es schleust über einen viralen Vektor eine Kopie des SMN1-Gens in den Kern der Motoneuronen. Dort soll sie dauerhaft persistieren und für eine normale Produktion des SMN-Proteins sorgen. Im Idealfall ist damit eine Heilung möglich. Auch mit dieser Therapie gelang es in Studien, Kindern mit Typ-1-SMA das Leben zu retten und zu einer weitgehend normalen motorischen Entwicklung zu verhelfen. Voraussetzung ist jedoch - wie bei Nusinersen -, dass die Kinder möglichst früh behandelt werden.

Seit 2021 steht mit Risdiplam (Evrysdi®) ein oral applizierbares Medikament zur SMA-Therapie zur Verfügung. Es greift wie Nusinersen in den Spleißvorgang der SMN2-RNA ein und sorgt dadurch für mehr funktionsfähiges SMN-Protein. Auch damit überlebten in Zulassungsstudien fast alle Patienten mit frühkindlichen SMA-Formen und erreichten wichtige motorische Entwicklungsstufen. Die Arznei wurde zudem in einer Studie mit 180 nicht gehfähigen SMA-Patienten vom Typ 2 und 3 geprüft, die ein Alter von 2-25 Jahren aufwiesen. Damit kam es - vor allem bei den jüngeren Patienten - im Vergleich mit Placebo zu deutlichen motorischen Verbesserungen.

Quelle: Schloss N et al. DGNeurologie 2021; doi: 10.1007/ s42451- 021- 00386-8