Medikamentendosierung, psychische Störungen, Krebsnachsorge - vieles betrifft Frauen und Männer auf unterschiedliche Weise. Prof. Gertraud Stadler, Expertin für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité Berlin, verrät, welche Aspekte in der Hausarztpraxis wichtig sind.

figure 1

Prof. Gertraud Stadler

Leitung Geschlechterforschung in der Medizin (GiM), Charité, Berlin

"Frauen leiden stärker an Nebenwirkungen."

MMW: Wie wichtig ist eine geschlechtsspezifische Dosierung von Medikamenten, und wird sie schon ausreichend berücksichtigt?

Stadler: Ein systematischer Review hat gezeigt, dass Frauen stärker unter Nebenwirkungen leiden, vermutlich auch aufgrund ihres geringeren Körpergewichts. Man müsste wahrscheinlich noch mehr auf Geschlecht und Gewicht zuschneiden, aber das ist bis jetzt kaum in den Leitlinien verankert. Was mache ich dann in der hausärztlichen Praxis? Ich kann mir zumindest bewusst sein, dass es bei Frauen ein höheres Risiko für Nebenwirkungen gibt, und diese ermutigen, Rücksprache zu halten, statt ein Medikament einfach abzusetzen. Dann kann man die Dosis verringern oder ein alternatives Präparat wählen.

MMW: Wo sehen Sie sonst noch Nachholbedarf bei Genderthemen im hausärztlichen Umfeld?

Stadler: Beim Thema Schmerzen. Frauen werden damit eher in die Hysterie-Ecke gestellt, und bei Männern könnten sie eher unterdiagnostiziert sein, weil es ihnen schwerer fällt, Hilfebedarf zuzugeben. Und bei Krebserkrankungen: Während Frauen sekundäre und tertiäre Präventionsangebote stärker wahrnehmen, fühlen sich Männer oft hilflos mit ihrer Angst, wieder zu erkranken. In der Nachsorge können Hausärztinnen und Hausärzte durch Gespräche unterstützen: Etwa darüber, dass Bewegung wichtig ist, um das Wiederauftreten von Prostatakrebs zu verhindern, denn viele denken, dass sie sich schonen sollten. Oder dass auch Männer von einem Erschöpfungssyndrom nach der Chemotherapie und den entsprechenden Schwierigkeiten betroffen sein können - das Gegenteil von Männlichkeitsstereotypen.

MMW: Haben Sie noch eine Botschaft für die Hausärzte und -ärztinnen?

Stadler: Ich freue mich immer, wenn diese sich der geschlechtssensiblen Themen annehmen, weil sie durch den Kontakt zur Allgemeinbevölkerung eine ganz wichtige Rolle haben. Wenn wir es schaffen, eine geschlechter- und diversitätssensible Versorgung in den hausärztlichen Praxen zu etablieren, dann haben wir unglaublich viel erreicht.