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Medikamentendosierung, psychische Störungen, Krebsnachsorge - vieles betrifft Frauen und Männer auf unterschiedliche Weise. Prof. Gertraud Stadler, Expertin für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité Berlin, verrät, welche Aspekte in der Hausarztpraxis wichtig sind.
MMW: Sie beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren mit Gendermedizin. Inwiefern hat sich die medizinische Versorgung von Frauen seitdem verändert?
Prof. Gertraud Stadler: Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin ist gewachsen, etwa bei der Herzgesundheit. Aber in der Versorgung gibt es noch viel Luft nach oben. Wir haben noch viel zu wenig Evidenz, um die Leitlinien entsprechend anzupassen, sind aber auf einem guten Weg.
MMW: Ist die geschlechtssensible Medizin auch in den hausärztlichen Praxen angekommen? Wenn nicht, woran liegt das?
Stadler: Vielleicht in kleinen Bruchstücken. Wir an der Charité sind ja das einzige Institut, in dem die Geschlechterforschung in der Medizin vertreten ist, abgesehen von einer Professur in Bielefeld. Sonst ist das Thema in der Ausbildung noch viel zu wenig verankert. Dadurch ist es stark der Initiative der einzelnen Hausärzte und -ärztinnen überlassen, und es wäre wichtig, das etwa durch flächendeckende Aus- und Weiterbildungsangebote zu verbessern.
MMW: Welche Aspekte der Gendermedizin sind im hausärztlichen Bereich besonders wichtig?
Stadler: Neben der Herzgesundheit die psychische Gesundheit. Da scheint es bei Männern eine Unterdiagnostik zu geben, die haben eine höhere Rate an Suiziden. Beim Thema Kinderwunsch liegt der Fokus stark auf der Frau. Da ist es wichtig, Männer früh einzubinden, zum Beispiel über Zusammenhänge von Übergewicht oder Alkoholkonsum mit der Samenqualität aufzuklären. Das ganze Thema Prävention könnte in den hausärztlichen Praxen noch sensibler ausfallen - etwa, dass Frauen und Männer unterschiedliche Angebote brauchen, auch zugeschnitten auf die soziale Lage. Das stellt noch ein großes Potenzial dar.
"Frauen leiden stärker an Nebenwirkungen."
MMW: Wie wichtig ist eine geschlechtsspezifische Dosierung von Medikamenten, und wird sie schon ausreichend berücksichtigt?
Stadler: Ein systematischer Review hat gezeigt, dass Frauen stärker unter Nebenwirkungen leiden, vermutlich auch aufgrund ihres geringeren Körpergewichts. Man müsste wahrscheinlich noch mehr auf Geschlecht und Gewicht zuschneiden, aber das ist bis jetzt kaum in den Leitlinien verankert. Was mache ich dann in der hausärztlichen Praxis? Ich kann mir zumindest bewusst sein, dass es bei Frauen ein höheres Risiko für Nebenwirkungen gibt, und diese ermutigen, Rücksprache zu halten, statt ein Medikament einfach abzusetzen. Dann kann man die Dosis verringern oder ein alternatives Präparat wählen.
MMW: Wo sehen Sie sonst noch Nachholbedarf bei Genderthemen im hausärztlichen Umfeld?
Stadler: Beim Thema Schmerzen. Frauen werden damit eher in die Hysterie-Ecke gestellt, und bei Männern könnten sie eher unterdiagnostiziert sein, weil es ihnen schwerer fällt, Hilfebedarf zuzugeben. Und bei Krebserkrankungen: Während Frauen sekundäre und tertiäre Präventionsangebote stärker wahrnehmen, fühlen sich Männer oft hilflos mit ihrer Angst, wieder zu erkranken. In der Nachsorge können Hausärztinnen und Hausärzte durch Gespräche unterstützen: Etwa darüber, dass Bewegung wichtig ist, um das Wiederauftreten von Prostatakrebs zu verhindern, denn viele denken, dass sie sich schonen sollten. Oder dass auch Männer von einem Erschöpfungssyndrom nach der Chemotherapie und den entsprechenden Schwierigkeiten betroffen sein können - das Gegenteil von Männlichkeitsstereotypen.
MMW: Haben Sie noch eine Botschaft für die Hausärzte und -ärztinnen?
Stadler: Ich freue mich immer, wenn diese sich der geschlechtssensiblen Themen annehmen, weil sie durch den Kontakt zur Allgemeinbevölkerung eine ganz wichtige Rolle haben. Wenn wir es schaffen, eine geschlechter- und diversitätssensible Versorgung in den hausärztlichen Praxen zu etablieren, dann haben wir unglaublich viel erreicht.
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Schmidt, J. Gendermedizin: Darauf sollten Hausärzte achten. MMW - Fortschritte der Medizin 164, 23 (2022). https://doi.org/10.1007/s15006-022-0737-y
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