Die Eltern einer 4-jährigen, ansonsten gesunden Patientin hatten seit etwa zwei Jahren zunehmend Schwierigkeiten, sie zu bürsten und zu kämmen. Ihr Kopfhaar war blond und gekräuselt, stand in alle möglichen Richtungen vom Kopf ab und fühlte sich bei Berührung rau und trocken an, ohne brüchig zu sein. Was war da los?

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© T. Jansen

Bei der körperlichen Untersuchung wiesen Augenbrauen, Wimpern und Nägel der kleinen Patientin keine Veränderungen auf. Unter dem Rasterelektronenmikroskop zeigte sich, dass die Kopfhaare einen dreieckigen oder nierenförmigen Querschnitt hatten, der durch Längsfurchen zustande kam. Ein normales menschliches Haar ist rund. Die körperliche und geistige Entwicklung des Mädchens war ansonsten unauffällig. Eltern, Großeltern und die 5-jährige Schwester waren erscheinungsfrei.

Die Diagnose lautete Syndrom der unkämmbaren Haare (Nr. 191480 in der Online-Datenbank OMIM). Es wurde erstmals 1973 von französischen Autoren als "cheveux incoiffables" beschrieben und wird auch als "Pili trianguli et canaliculi" oder Glaswollhaar (engl. "Spun glass hair") in der Literatur geführt. Möglicherweise ließ sich der Frankfurter Arzt und Schriftsteller Heinrich Hoffmann (1809-1894) von diesem Syndrom zu seinem Kinderbuch-Klassiker "Der Struwwelpeter" inspirieren.

Bisher wurden weltweit ca. 100 Fälle beschrieben. Das Erscheinungsbild besteht von Geburt an oder entwickelt sich mit dem ersten Haarwachstum. Assoziierte Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen sind in der Regel nicht vorhanden. Die Anomalie scheint einem autosomal-dominanten oder autosomal-rezessiven Erbgang zu folgen, es gibt aber auch sporadische Fälle.

Kürzlich konnten bei Patienten mit dem Syndrom der unkämmbaren Haare in drei Genen (PADI3, TGM3, TCHH), die an der Bildung des Haares beteiligt sind, Mutationen identifiziert werden, die zu einer gestörten Quervernetzung der Haarproteine führen. Eine molekulargenetische Sicherung der Diagnose ist damit möglich.

Die Haaranomalie ist zwar kosmetisch störend und möglicherweise auch eine psychische Belastung, jedoch wegen der Harmlosigkeit und Neigung zu spontaner Rückbildung nach der Pubertät nicht therapiebedürftig.

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PD Dr. med. habil. Thomas Jansen

Höntroper Str. 102, D-44869 Bochum