Evidenzbasierte Therapien gegen COVID-19 sind zurzeit auf stationäre Patienten beschränkt. Im ambulanten Bereich kann der Einsatz einzelner Substanzen sogar eher schädlich sein. Mittelfristig müssen aber auch Hausärzte vor allem in die frühe Behandlung einbezogen werden, ist PD Christoph Spinner vom Münchner Uniklinikum rechts der Isar überzeugt.

Dass Hausärzte ihren COVID-19-Patienten eine Behandlung anbieten wollen, kann der Pandemiebeauftragte vom Klinikum rechts der Isar und Mitautor der S3-Leitlinie zur stationären COVID-Therapie gut verstehen. Er warnt jedoch ausdrücklich vor experimentellen Therapien: "Es gibt im niedergelassenen Setting derzeit keine Empfehlung zu Antikoagulation, keine zu Steroiden und keine zu spezifischen antiviralen Therapien". Mit einer Steroidgabe sei im ambulanten Bereich derzeit keine Besserung zu erreichen und die Antikoagulation weise sogar ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis auf. Spinners Botschaft an die Hausärzte: "Nicht in Aktionismus treiben lassen!"

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© Rido, Adobe Stock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Hausärzte sollten künftig früher in die Behandlung von COVID-19-Patienten einbezogen werden.

Wann ins Krankenhaus?

Entscheidend sei zu erkennen, wann COVID-19-Patienten im Krankenhaus behandelt werden müssen. Valide Scores gibt es dafür nicht, ausschlaggebend ist die klinische Einschätzung und vor allem das Auftreten einer Hypoxämie. Die Hospitalisierung ist laut Spinner geboten, wenn die Sauerstoffsättigung neu unter 94% fällt, aber auch wenn die Patienten eine moderate Erkrankung und ausgeprägte Risikofaktoren haben. "Diese Patienten sind in der ersten Welle sehr spät in die Klinik eingewiesen worden, das sehen wir zum Glück nicht mehr."

Antivirale Therapie nur in Frühphasen wirksam

Das augenblicklich einzige antivirale Medikament, Remdesivir, ist bisher nur für stationäre Patienten zugelassen. Das ist problematisch, weil antivirale Sub-stanzen prinzipiell vor allem in der ersten Phase einer COVID-19-Erkrankung wirken und es im Krankenhaus oft schon zu spät für sie ist. Wünschenswert wäre laut Spinner ein orales und unter Niedergelassenen verfügbares Virustatikum für Patienten mit Risiken eines schweren Verlaufs. Als möglichen Kandidaten dafür nennt er den RNA-Replikations-Inhibitor Molnupiravir. Bisher liegen aber erst Phase-2-Daten vor. Ihnen zufolge könnten die Patienten schneller SARS-CoV-2-negativ werden.

Wer profitiert von Antikörpern?

Für "vielversprechend" hält der Experte die rechtzeitige Behandlung mit virusneutralisierenden monoklonalen Antikörperkombinationen. Zielgruppe für diese Therapien sind nicht wegen COVID-19 hospitalisierte Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf, etwa über 60-Jährige mit weiteren Risikofaktoren oder über 70-Jährige. Derzeit werden drei Antikörperpräparate von der EMA bewertet: Bamlanivimab und Bamlanivimab/Etesevimab sowie Casirivimab/Imdevimab. Laut Pressemitteilungen - Peer-Review-Publikationen stehen noch aus - kann mit den Antikörpern das Risiko für Hospitalisierungen um 70-80% reduziert werden. "Das ist eine beträchtliche Reduktion", so Spinner, "da Hospitalisierungen bei älteren COVID-Patienten sehr häufig mit Komplikationen und schweren Verläufen verbunden sind."

In Deutschland können derzeit Bamlanivimab und Casirivimab/Imdevimab auf Basis von § 79 Absatz 4 AMG angewendet werden. Das bedeutet allerdings, dass nur teil- und vollstationär behandelte Patienten Zugang erhalten. "Mittelfristig muss die Therapie aber in das niedergelassene Setting eingebaut werden, egal ob die Patienten die Antikörper in der Praxis erhalten oder ob sie in ein Behandlungszentrum kommen", ist Spinner überzeugt. Anders als bei Remdesivir handelt es sich bei den Antikörpern um eine "Single-Shot-Therapie". Als vorteilhaft gilt die Kombination von zwei Antikörpern. "Bei einer Monotherapie hat man nur eine Binding-Site, daher besteht immer eine Resistenzproblematik. Bamlanivimab bindet z. B. zumindest in vitro deutlich schlechter bei der südafrikanischen Variante", erläutert Spinner.

Systemische Steroide wichtigste Arzneien

Die Therapie mit Remdesivir ist nur für stationäre Patienten bis Tag 10 nach Symptombeginn zugelassen. In Studien konnte durch das Virustatikum die Zeit bis zur klinischen Besserung um 5 Tage verkürzt werden. Experten am Robert-Koch-Institut gehen von einer optimierten Wirkung aus, wenn die Behandlung schon bis Tag 7 nach Symptombeginn erfolgt.

In der zweiten Phase von COVID-19, in der nicht mehr das Virus selbst, sondern gegen das Virus gerichtete Abwehrreaktionen das Krankheitsgeschehen bestimmen, muss vor allem antiinflammatorisch behandelt werden. Dabei spielen Steroide momentan die wichtigste Rolle: "Bei länger als siebentägiger Erkrankungsdauer mit Pneumonie und zusätzlichem Sauerstoffbedarf geben wir regelhaft Dexamethason", so Spinner. Das Steroid ist die einzige Substanz, für die eine Mortalitätssenkung robust bewiesen ist. Gegen die COVID-bedingte Hyperinflammation sind weitere Substanzen in Erprobung. "Der IL-6-Antagonist Tocilizumab zeigt eine additive Wirkung zu Steroiden, die Effektstärke insgesamt ist überschaubar. Es wird darauf ankommen, die richtige Patientengruppe zu definieren." Am Klinikum rechts der Isar läuft auch eine Studie zum Janus-Kinase-Inhibitor (JKI) Baricitinib; es gibt Hinweise, dass auch JKI auf die Hyperinflammation bei schwerem Verlauf einen günstigen Einfluss nehmen. Alle stationären Patienten erhalten zudem wegen des erhöhten Thromboembolierisikos eine prophylaktische Antikoagulation. "Die therapeutische Dosierung alleine wegen COVID-19 hat ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis", warnt Spinner.

Der Experte fordert dazu auf, mehr Patienten in Studien zu behandeln anstatt potenzielle Therapien in großem Stil off-label einzusetzen. Nur so könne man mehr Evidenz generieren, welche Patienten wann von welchem Arzneimitteln profitieren. Spinner macht sich jedoch nicht allzu viel Hoffnung auf ein Wundermittel. "Es ist klar, dass antivirale Arzneimittel und monoklonale Antikörper die Progression in gewissem Grad verhindern und dass Therapeutika der Hyperinflammation die Mortalität reduzieren können." Aber wie bei allen respiratorischen Erkrankungen sei es am besten, wenn die Infektionen erst gar nicht auftreten. Dahin führt nur ein Weg: "Es muss mehr geimpft werden."