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Patienten mit pathologischem Horten entwickeln oft eine starke emotionale Bindung an Gegenstände und starke Ängste beim Entsorgen. Das macht die Therapie zu einer besonderen Herausforderung, weiß Prof. Ulrich Voderholzer.
MMW: Viele Menschen können sich von nutzlosen Gegenständen kaum trennen. Ab wann ist das ein Problem?
Voderholzer: Immer dann, wenn das Leben dadurch beeinträchtigt wird. Wenn Zimmer so vollgestellt sind, dass man sie kaum betreten kann, wenn das Horten Auswirkungen auf die Beziehungen hat oder wenn das Horten mit finanziellen Verlusten verbunden ist - etwa 60% der Horter haben eine Kaufsucht.
MMW: Können Sie Beispiele nennen?
Voderholzer: Wir hatten eine hochverschuldete Patientin mit Kaufsucht, deren Kinder sehr darunter litten, dass sie im Studium nicht unterstützt wurden. Bei einer anderen Patientin mit einer Drei-Zimmer-Wohnung ließen sich zwei Räume seit zehn Jahren nicht mehr betreten. Für Aufsehen sorgte auch ein Todesfall aus Italien - eine Frau wurde von ihren gehorteten Gegenständen erdrückt. Bei einigen Hortern ist der Beschaffungsdrang so groß, dass sie stehlen. Eine junge Frau hat in unserer Klinik an vielen Stellen ganze Depots angelegt: Desinfektionsmittel, Kissen, über 400 Besteckteile. Aber man muss unterscheiden zwischen Horten und dem Messie-Syndrom. Von den Menschen mit einer vermüllten Wohnung sind nur etwa 20% Horter, 80% vermüllen die Wohnung aus anderen Gründen.
MMW: Aus welchen?
Voderholzer: Sie haben psychische Erkrankungen, die mit Antriebsstörungen oder einer Vernachlässigung des Alltags einhergehen. Dazu gehören Depressionen, Psychosen, beginnende Demenzen oder Suchterkrankungen. Zum Kern der Sucht zählt ja, dass andere Bereiche des Lebens vernachlässigt werden. Es wird nicht mehr aufgeräumt, der Müll nicht entsorgt. Dagegen zählt das pathologische Horten zu den Zwangspektrumstörungen.
MMW: Der Horter sammelt also mit einer gewissen Zielstrebigkeit?
Voderholzer: Genau, beim Horten geht es meist um bestimmte Dinge, zu denen eine emotionale Bindung besteht. Horter haben Schwierigkeiten, Gegenstände wegzuwerfen, die keinen eigentlichen Wert haben - Zeitschriften, Schuhe oder nutzlose Gegenstände aus der Kindheit. Diese Menschen geraten in starke Anspannung, wenn sie die Dinge entsorgen sollen.
MMW: Wie kommt es zu dieser starken emotionalen Bindung an Gegenstände?
Voderholzer: Eine Theorie besagt, dass Horter in der Kindheit wenig oder unsichere Bindungen an ihre Bezugspersonen entwickelten und die gehorteten Dinge zu Ersatzobjekten werden. Sie vermitteln ein Gefühl der Sicherheit und kompensieren den Mangel an emotionalen Bindungen. Genetische Faktoren sind ebenfalls relevant, die Heritabilität liegt bei etwa 30-40%. Ein wichtiger Aspekt: Die Tendenz zum Horten fängt oft schon in der Jugend an und wird im Laufe des Lebens schlimmer.
MMW: Wie hoch ist die Prävalenz?
Voderholzer: Eine Studie aus Deutschland kommt auf insgesamt 4,6%. Unter den Jüngeren sind es 2%, bei den Älteren 6%. Aber pathologisches Horten ist eine stark verheimlichte Erkrankung. Es gibt viel mehr Horter als man denkt.
MMW: Welche Therapieoptionen gibt es?
Voderholzer: Patienten mit pathologischem Horten sind schwerer zu behandeln als solche mit anderen Zwängen, vor allem wegen der hohen emotionalen Bindung an die Gegenstände. Die beste Therapieform ist eine spezifisch entwickelte Psychotherapie, etwa der Ansatz einer US-Gruppe um Randy Frost und Gail Steketee. Dabei unterstützen die Therapeuten aktiv beim Organisieren und Planen. Dann arbeiten sie an der emotionalen Bindung zu den gehorteten Dingen und versuchen, diese zu modifizieren, um den Drang zu mindern, sich immer mehr anzuschaffen. Schließlich erfolgt eine graduierte Exposition mit Entsorgen der Gegenstände. Es wird geübt, die Gefühle, die dabei auftreten, zu bewältigen. Eine solche Therapie bedeutet natürlich auch immer, dass die Therapeuten in die Wohnung gehen. Das wird leider in der Praxis nur selten umgesetzt, auch aus organisatorischen Gründen. Bei pathologischem Horten ist aber eine therapeutische Begleitung der Betroffenen in der Wohnung, zumindest zu Beginn der Therapie, notwendig. Das ist allein schon aus diagnostischen Gründen wichtig, um sich ein Bild vom gesamten Wohnbereich, inklusive Keller, Speicher und Garage zu machen. In Deutschland haben wir jedoch kaum aufs Horten spezialisierte Therapeuten.
MMW: Helfen auch Medikamente?
Voderholzer: Zu medikamentösen Therapien gibt es kaum Studien. Wenn Psychotherapie und anderweitige Unterstützung nicht helfen, kann gegebenenfalls auch eine SSRI-Behandlung wie bei Zwangsstörungen versucht werden. In den wenigen kleineren Studien speziell zu pathologischem Horten war der Erfolg einer medikamentösen Behandlung (SSRI und auch SNRI) eher mäßig.
Das Interview führte Thomas Müller.
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Müller, T. "Horten ist eine total verheimlichte Erkrankung". MMW - Fortschritte der Medizin 163, 11 (2021). https://doi.org/10.1007/s15006-021-9669-1
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