Nach Angaben des Epidemiologischen Suchtsurveys ESA leiden in Deutschland ca. 2,9 Millionen Menschen an einem schädlichen bzw. abhängigen Gebrauch von Medikamenten. Damit verbunden ist ein erhöhtes Risiko für schwere, poten-ziell tödliche körperliche und psychische Folgen inklusive Entzugssyndrom.

Bei den Medikamenten, die eine Abhängigkeit verursachen können, stehen Tranquilizer (Benzodiazepine) gefolgt von Opioiden an erster Stelle. Seltener führen Gabapentin, Cannabinoide und nicht-opioide Schmerzmittel zum Missbrauch. Erschwert wird die Diagnostik dadurch, dass der Übergang zwischen einem bestimmungsmäßigen Gebrauch, Fehlgebrauch und einem schädlichen abhängigen Gebrauch fließend ist. "Grundsätzlich muss man von einer problematischen Einnahme ausgehen, wenn die Substanz länger als 2 bis 4 Wochen und in einer hohen Dosis eingenommen wird", so Prof. Ursula Havemann-Reinecke, Oberärztin an der psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Das Risiko steigt mit dem Alter. Während < 1% der unter 35-Jährigen betroffen sind, geben > 5,3% der Personen über 70 Jahre eine solche problematische Einnahme an. Aktuelle Daten weisen auf eine Zunahme des Konsums von hochpotenten Opioiden hin. "Bei der Therapie bedeutet der Entzug einer Substanz meist die Beendigung einer Behandlung, die mit einer medizinischen Indikation begonnen wurde", so Havemann-Reinecke.

Suizidgefahr durch Benzodiazepine

Das Spektrum der schädlichen Wirkungen der Benzodiazepine ist breit. Im Vordergrund stehen die psychomotorischen Wirkungen wie Gangunsicherheit und Koordinationsstörungen. Kognitive Wirkungen führen zu Lern- und Gedächtnisstörungen. Nicht selten zeigen sich auch adverse Wirkungen wie Angst, Aggres-sion, Unruhe und Aggressivität.

Bei den Folgen stehen Stürze und Frakturen an erster Stelle. Medikamente führen aber auch die Liste der Suizidmethoden an. Mit weitem Abstand folgt das Erhängen. Dazu kommen Straßenverkehrsunfälle aufgrund eines Medikamentenkonsums. Längerfristig treten eine allgemeine Verschlechterung des physischen und mentalen Zustands, ein kognitiver Abbau, Veränderungen der Schlafarchitektur und eine Beeinträchtigung des Immunsystems ein.

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© CasarsaGuru, iStck (Symbolbild mit Fotomodell)

Tablettensucht: Der Frauenanteil liegt bei 70%.

Risikofaktoren für die Abhängigkeit

Die Beschaffung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln läuft am häufigsten über den Rezeptblock des Arztes. Dabei gibt es eine Reihe von Risikofaktoren für die Entwicklung einer Benzodiazepinabhängigkeit:

  • Vorbestehende Suchterkrankung

  • Hohe Dosis und/oder längere Einnahme

  • Chronizität und Schwere der mit dem Benzodiazepin behandelten Symptome

  • Zusätzliche Stressfaktoren

  • Erwartungen des Patienten hinsichtlich psychotroper Wirkungen

  • Fehlende Arzt-Patienten-Beziehung

  • Fehlendes Problembewusstsein seitens des Arztes mit unreflektierter Verschreibung ohne Indikation oder ohne Prüfung des Fortbestehens der Indikation

  • Ungenügende Beachtung von "versteckten" Benzodiazepinen.

Benzodiazepinentzug fraktioniert

Bezüglich eines Benzodiazepinentzugs sollte man die Indikation streng stellen. Hier müssen negative Folgen des Entzugs den Schäden durch die Benzodiazepine gegenübergestellt werden. Dabei spielt auch die verbleibende Lebenszeit eine Rolle. Grundsätzlich empfiehlt sich ein fraktionierter Entzug. Auch hier ist die Verminderung der Dosis und/oder die Umstellung auf ein für alte Menschen geeignetes Benzodiazepin wie Oxazepam ein Behandlungserfolg. Bei Niedrigdosis abhängigkeit kann der Entzug ambulant, bei einer Hochdosisabhängigkeit sollte ein solcher aber immer stationär erfolgen.

Sinnvoll und wirksam ist ein systematisches Ausschleichen: Beginnen sollte man mit 40-60% der langzeitlich eingenommenen Dosis und diese dann täglich um 10% reduzieren. Eine Alternative ist eine Reduktion um 25% alle 2 Wochen oder um 12,5% jede Woche. Als Begleitmedikation werden Antidepressiva empfohlen. Zur Anfallsprophylaxe können Antiepileptika wie Carbamazepin oder Valproat eingesetzt werden. Doch bei älteren multimorbiden Patienten ist damit wegen schwerwiegender Nebenwirkungen Vorsicht geboten. Das gilt auch für Barbiturate und Clomethiazol.

Quelle: Virtuelle Pressekonferenz der DGPPN, 20.1.2021