Bis zum 16. Juli 2021 konnten wir uns in unserer allgemeinmedizinischen Praxis am Rande einer osthessischen Kleinstadt relativ unbeschwert dem Wohl unserer Patienten widmen. Als eine wesentliche ärztliche Aufgabe zur Überwindung der Corona-Pandemie hatten wir uns so bald wie möglich an den Impfungen in der Praxis beteiligt.

Schon seit einiger Zeit war allerdings die anfängliche Euphorie Ernüchterung gewichen. Von Woche zu Woche nahm die Impfbereitschaft signifikant ab. Zwar unterbreiteten wir unermüdlich jedem Patienten in der Praxis ein Impfangebot, dieses wurde jedoch immer weniger angenommen. Auch an die merkwürdigsten Aussagen und Verschwörungstheorien hatten wir uns schon gewöhnen müssen. Eine Kehrtwende trat dann allerdings am besagten Tag ein, als die dienstälteste MFA mir die Post zum Durchsehen brachte und mich direkt darauf hinwies, dass ich einen Drohbrief erhalten hätte.

Sofort streifte ich mir ein Paar Latexhandschuhe über und betrachtete das an mich gerichtete Schreiben. Es handelte sich um eine ca. 30 Seiten umfassende Loseblattsammlung ohne Umschlag. Auf der ersten Seite waren mein Name und die Praxisanschrift aufgedruckt. Im Hauptteil wurden dann offensichtlich aus dem Internet heruntergeladene Verschwörungstheorien aufgefächert, garniert mit Handlungsanweisungen einer möglicherweise im Ruhrgebiet tätigen Ärztin, die zur angeblichen "Ausleitung" von Corona-Impfschäden vitaminhaltige bzw. homöopathisch-anthroposophische Infusionen beschrieb und empfahl.

Das eigentlich Bedrohliche stellten jedoch die letzten vier Seiten dar, die offensichtlich nicht aus dem Internet stammten, sondern in riesigen Buchstaben klare Drohungen beinhalteten. Man wisse ganz genau, wo ich wohne, stand da - und was man zu tun hätte, wenn ich mein Corona-Impfverhalten nicht ändern würde.

Ich rief unmittelbar bei unserer Polizeiwache an, die auch gleich einen Streifenwagen vorbeischickte, da von einer strafbaren Handlung auszugehen war. Die Beamten nahmen den Vorgang auf und den Drohbrief mit. Sie erklärten mir zudem, dass sogar der Verfassungsschutz informiert werden würde.

Was soll ich sagen? Wenn ich mit dem Brief stark verunsichert werden sollte, so haben die Covidioten ihr Ziel erreicht. Jawohl, ich nenne sie so. Selbstverständlich respektieren wir auch eine ablehnende Haltung bei einem Impfangebot. Derartige Drohungen sind unseres Erachtens aber völlig inakzeptabel. Wir beteiligen uns weiterhin am Impfprogramm - aber ein mulmiges Gefühl bleibt bestehen.

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