Die Geschichte der AIDS-Pandemie ist auch eine Geschichte der Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen, die ihre Homosexualität frei ausleben wollen. Der Münchner HIV-Arzt Dr. Hans Jäger hat miterlebt, wie das Virus, aber auch die Angst davor um sich griffen und mit welchen zum Teil bizarren Maßnahmen man versuchte, der Ausbreitung in der "Schwulenszene" Herr zu werden.

figure 1

© peterschreiber.media / stock.adobe.com

Am Anfang der AIDS-Pandemie war es nur eine Handvoll junger homosexueller Männer, über die der US-Immunologe Dr. Michael S. Gottlieb in der Ausgabe vom 5. Juni 1981 des "Morbidity and Mortality Weekly Report" berichtete. Alle fünf Patienten waren schwer an einer Pneumocystis-carinii-Pneumonie erkrankt. In einem weiteren Artikel für das "New England Journal of Medicine" stellte Gottlieb die Hypothese von einer "potenziell übertragbaren Immunschwäche" auf. Erst zwei Jahre später sollte der bislang unbekannte Erreger als "Human Immunodeficiency Virus", HIV, identifiziert werden.

Plötzlich lauter schwer erkrankte junge Männer

In vielen Kliniken der USA und bald auch in Deutschland tauchten nun immer häufiger ganz ähnliche Fälle auf. Der Münchner Arzt und AIDS-Forscher Dr. Hans Jäger, der Anfang der 1980er Jahre im New Yorker Sloan Kettering Cancer Center tätig war, erinnert sich: "Da waren plötzlich junge Männer, fast alle aus der Schwulenszene, die schwer erkrankt waren, entweder mit Lungenentzündungen, die wir nicht einschätzen konnten, oder mit hautkrebsartigen Veränderungen, Kaposi-Sarkomen, wie wir später wussten." Es sollte noch fast ein Jahrzehnt dauern, bis für die bis dato ausnahmslos tödlich verlaufende Krankheit eine wirksame Therapie entwickelt werden konnte.

Zurück in Deutschland baute Jäger zwischen 1981 und 1989 die "Ambulanz für Immunschwäche-Erkrankungen" am Städtischen Krankenhaus München-Schwabing auf. Das 1989 gegründete "Kuratorium für Immunschwäche" (KIS) half vor allem auch HIV-infizierten Frauen.

Auf dem Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress (DÖAK) berichtete Jäger, wie viel Gegenwind ihm und seinen in der HIV-Therapie aktiven Kollegen damals aus der lokalen Politik entgegenschlug: "Man wurde schon mal hochkant aus dem Rathaus rausgeworfen, wenn man darauf hinwies, dass das Schwabinger Krankenhaus dringend mehr Personal und Unterstützung für die HIV-Arbeit benötigte."

"Maßnahmenkatalog" der Bayerischen Staatsregierung

Bereits ab 1982 waren im Auftrag des Münchner Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler (CSU) "schwarze Sheriffs" im Einsatz, die "das Problem mit den soziallästigen Personen wie Stadtstreichern, Pennern und Homosexuellen" in den Griff bekommen sollten [1]. Angesichts der AIDS-Pandemie setzte die Bayerische Staatsregierung im Februar 1987 einen strengen "Maßnahmenkatalog" durch: Danach sollten "Ansteckungsverdächtige" zum HIV-Test geladen und bei Nichterscheinen durch die Polizei vorgeführt werden. Der damalige CSU-Abgeordnete im Bundestag Horst Seehofer wurde im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit der Forderung zitiert, "Infizierte in speziellen Heimen zu konzentrieren"[2].

Die zu dieser Zeit "sehr prononcierte bayerische AIDS-Politik" habe sich bundesweit zum Glück nicht durchsetzen können, so Jäger. Vor allem der damalige Bundesanwalt Manfred Bruns habe relativ schnell die Verfassungsmäßigkeit des bayerischen Vorgehens bezweifelt. Bruns sei es auch gewesen, der maßgeblich zur Abschaffung des "Schwulenparagrafen" 175 beigetragen habe.

Angst vor Entdeckung steckt vielen noch in den Knochen

Die Angst vor Entdeckung steckt jedoch auch heute noch vielen homosexuellen Patienten in den Knochen, vor allem den Älteren, die die Auswirkungen des § 175 noch intensiv miterlebt haben. In Jägers Praxis erschien vor einigen Jahren ein etwa 60-jähriger Mann in Begleitung seines angeblichen "Bruders", der auch bei den folgenden Arztbesuchen an seiner Seite war. "Es hat drei Jahre gedauert", so Jäger, "bis er mir erzählt hat, dass sein Bruder eigentlich sein Freund ist."

Quellen: 10. Deutsch-Österreichischer AIDS-Kongress (DÖAK), 25.-27. März 2021; [1] DIE ZEIT 45/1982; [2] DER SPIEGEL 12/1987