Die Entwicklung der voraussichtlich ersten drei Corona-Impfstoffe hat nicht mal ein Jahr gedauert. Ob wir damit ein Risiko eingehen, haben wir den Infektiologen PD Dr. Ulrich Seybold gefragt.
MMW: Ging Schnelligkeit bei der Impfstoffentwicklung zulasten der Sicherheit?
Seybold: Erstens wird die EU nur eine Conditional Marketing Authorization gewähren, also eine vorläufige Zulassung, die davon abhängt, was sich noch ergibt. Zweitens haben wir bisher nie einen Impfstoff zugelassen, der breiter, also an mehr Menschen getestet wurde. 30.000 ist eher die Untergrenze für Corona-Impfstoffe. Der Biontech-Impfstoff ist an 44.000 Menschen erprobt worden. Eine zweimonatige Nachbeobachtungszeit bei 30.000 Patienten macht immerhin 5.000 Patientenjahre. Natürlich sind Langzeitfolgen damit nicht abdeckbar, aber die Wahrscheinlichkeit, dass in 5.000 Patientenjahren gar nichts passiert und alle Probleme später auftreten, ist geringer als in Studien mit weniger Teilnehmern.
MMW: Virale Vektoren werden auch in der Gentherapie eingesetzt. Kann die DNA aus diesen Impfstoffen in das Zellgenom integrieren?
Seybold: Nein, das ist nicht zu befürchten. Als Vektoren für Corona-Impfstoffe werden Adenoviren verwendet, d.h. keine Retroviren, sondern DNA-Viren, die mit dem menschlichen Genom gar nichts machen. Ein Problem solcher Impfstoffe ist eher die Vektorimmunität: Wenn schon Kontakt mit diesen Virustypen bestand, kann die Wirksamkeit reduziert sein.
MMW: Und wie sieht es bei den mRNA-Impfstoffen aus?
Seybold: Als Hauptproblem der mRNA-Impfstoffe sehe ich, dass viele Leute etwas, das so ähnlich ist wie Gen, mit etwas Gefährlichem assoziieren. Wenn man aber bedenkt, wie mRNA-Impfstoffe funktionieren, dass sie nur im Zytoplasma von wenigen Zellen und nur für kurze Zeit in Protein übersetzt werden, ist diese Angst unbegründet. Ein möglicher Nachteil der mRNA-Impfstoffe ist, dass sie relativ reaktogen sind. Aber die lokalen und systemischen Nebenwirkungen nach der Injektion sind nicht viel anders als bei Shingrix oder Bexsero. Das kann lästig sein, wenn der Arm drei Tage wehtut, aber es ist nicht gefährlich. Hier geht die Reaktogenität aber eben auch mit einer sehr guten Vakzineffektivität einher. Eine Effektivität von 90% und mehr gibt es ganz selten. Ein weiterer Vorteil der mRNA-Impfstoffe ist, dass die Technologie fertig entwickelt war und spezifische Impfstoffe sehr schnell verfügbar gemacht werden konnten.
MMW: Was weiß man über die Dauer des Impfschutzes?
Seybold: Moderna ist da am weitesten. 90 Tage nach der zweiten Dosis scheinen die Spiegel der neutralisierenden Antikörper weiter auf einem Plateau zu liegen.
MMW: Könnten bestimmte Impfstoffe für bestimmte Personengruppen mehr oder weniger geeignet sein?
Seybold: Es gibt die Befürchtung, dass Impfstoffe bei älteren und immungeschwächten Personen schlechter wirksam sind. Die RNA-Impfstoffe hat man z. B. schon bei Älteren untersucht und man scheint eine ähnlich gute Wirkung zu sehen wie bei Jüngeren. Ob das auch auf Personen übertragbar ist, deren Immunsystem aus anderer Ursache geschwächt ist, muss sich noch zeigen.
MMW: Haben Sie selbst Präferenzen für einen bestimmten Impfstofftyp?
Seybold: Es gibt keine vergleichenden Studien. Ich nehme den ersten Impfstoff, der mir angeboten wird.

Portrait PD Seybold: @ LMU Klinikum
PD Dr. med. Ulrich Seybold
Sektion Klinische Infektiologie LMU Klinikum Innenstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München
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Schumacher, B. "Noch nie breiter getestete Impfstoffe zugelassen". MMW - Fortschritte der Medizin 162, 11 (2020). https://doi.org/10.1007/s15006-020-4623-1
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