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Als "gut behandelbare Störung" bezeichnet der Münchner Infektiologe Prof. Johannes Bogner die HIV-Infektion gegenüber seinen Patienten. Tatsächlich ist die antiretrovirale Therapie selbst meist nicht mehr die größte Herausforderung für Ärzte und Patienten. Im Gespräch mit der MMW erklärt der Experte, welche Ängste und Sorgen heute, anders als vor 30 Jahren, im Vordergrund stehen und warum die sozialmedizinische Beratung an Bedeutung gewinnt.
MMW: Herr Professor Bogner, können Sie sich noch an "Ihren" ersten HIV-Patienten erinnern?
Bogner: Jawohl, sehr genau. Die AIDS-Station war meine allererste Stelle als junger Assistenzarzt. Diesen Patienten hatte ich gerade neu aufgenommen, er wusste schon, dass er an AIDS erkrankt war. Er zeigte das Vollbild der Erkrankung, mit erheblichem Gewichtsverlust und Mund-Soor. In die Klinik war er wegen hohem Fieber gekommen. Unsere Aufgabe war es, herauszufinden, woher das kam. Das haben wir vier Wochen lang mit allen möglichen Tests versucht, konnten aber die Ursache nicht eruieren. Das Fieber hielt an, und der Patient ist schließlich gestorben. Das war im Januar 1986.
MMW: Wie haben Sie damals eine HIV-Diagnose, die zu der Zeit ja noch einem Todesurteil gleichkam, mitgeteilt?
Bogner: Richtig fand ich immer, den Patienten zu sagen, es ist zwar eine ernste Diagnose, aber wir tun alles, um die medizinische Betreuung sicherzustellen und die Krankheit subjektiv zu verbessern - ähnlich wie bei einem Palliativkonzept. Man konnte damals kein dauerhaftes Überleben in Aussicht stellen. Aber man konnte sagen, wir kümmern uns um die Schmerzen, um das Fieber, wir versuchen, die Zusatzinfektionen zu behandeln und dadurch Zeit zu gewinnen.
MMW: Mittlerweile ist die HIV-Infektion eine behandelbare chronische Erkrankung geworden. Ist die Diagnose immer noch ein Schock für die Patienten?
Bogner: Für die meisten nicht. Ich erlebe es sehr häufig, dass man schon damit gerechnet hat, darum ist der Schock nicht so groß. Bei der Mitteilung der Diagnose sage ich als erstes, dass die Therapiemöglichkeiten heutzutage gut sind, dass man gesund bleibt oder gesund wird und mit dieser Störung - ich nenne es nicht mal "Erkrankung" - leben kann und eine normale Lebenserwartung hat.
MMW: Was bewegt die Patienten heute im Gegensatz zu früher?
Bogner: Hauptsächlich ist das die Frage, ob sie jemand anderen anstecken können. Das ist, wie wir heute wissen, unter einer erfolgreichen antiretroviralen Therapie nicht der Fall. Die andere Frage ist die, ob man etwas an seinem Leben verändern muss. Häufig ist da die Angst vor dem Medizinbetrieb im Spiel, von dem man vielleicht nicht mehr loskommt. Dass man dauernd zum Arzt muss und zur Apotheke, ist ja schon eine Einschränkung. Und leider gibt es nach wie vor die Angst vor Offenbarung und Stigmatisierung. Unsere Bevölkerung ist ja durchaus noch nicht so aufgeklärt, wie man sich das wünschen würde.
MMW: Wie ist es heute mit den Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie (ART)? Hat man die immer im Griff?
Bogner: Nebenwirkungen sind höchstens bei einem Neubeginn einer modernen antiviralen Therapie ein Thema. Wir sind heute in der komfortablen Lage, dem Patienten sagen zu können: Wir finden für Sie auf alle Fälle eine Medikation, die Sie so gut vertragen, dass Sie keine Kurz- und keine Langzeitnebenwirkungen haben.
MMW: Worauf kommt es bei der ärztlichen Beratung von Menschen an, die mit HIV leben?
Bogner: Zur HIV-Behandlung gehört heute immer auch Lebensstilberatung. Das betrifft aber nicht die HIV-Erkrankung selbst, sondern vielmehr die Folgen der "Gesundung": Wenn der Patient an Gewicht zunimmt, die Lipidwerte und der Blutdruck steigen, dann müssen wir auch als Ernährungsberater tätig sein und als kardiovaskulärer Risikoberater. Wir müssen darauf bestehen, dass die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen gemacht werden, also all die Dinge, die in der allgemeinen Gesundheitsvorsorge wichtig sind.
MMW: Wo liegen für Sie aktuell die größten Herausforderungen im Alltag mit HIV-Patienten?
Bogner: Das sind für mich drei Punkte: Erstens eine gute Adhärenz an die Medikation und ein gutes Vertrauensverhältnis zum Behandler herzustellen. Zweitens psychosoziale Schwierigkeiten zu beseitigen, also die Angst vor Entdeckung der Erkrankung, aber auch Probleme mit dem Versicherungs- oder Kündigungsschutz. Für Patienten, die wegen ihrer Erkrankung beruflich ins Schwanken gekommen sind, ist es z. B. wichtig, einen Sozialpädagogen zur Hand zu haben, der diesbezüglich beraten kann. Und drittens die Überbrückung größerer Distanzen bis zur nächsten Behandlungsmöglichkeit. Das ist deshalb so wichtig, weil es in vielen Regionen mit nur sehr wenigen HIV-Patienten naturgemäß keine HIV-Schwerpunktärzte gibt. Die Praxisbesonderheit "HIV-Behandlung" bekommt man ja nur, wenn man entsprechende Expertise nachweist.
MMW: Viele HIV-Patienten sind seit ihrer Diagnose in die Jahre gekommen. Brauchen ältere HIV-Patienten eine besondere Betreuung?
Bogner: Medizinisch ist der alte HIV-Patient genauso zu versorgen wie der durchschnittliche geriatrische Patient. Natürlich gibt es Folgeerkrankungen. Ein 75-jähriger HIV-Patient hat vielleicht schon seine fünf Koronarstents, der 80-Jährige seinen ersten Schlaganfall hinter sich. Was aber dazu kommt, ist oft Vereinsamung, manchmal auch Verarmung. Gegen das Problem, im Alter nicht ausreichend versorgt zu sein, gibt es mittlerweile Projekte wie das "rosaAlter" (s. Kasten; Red.). Solche Angebote der sozialmedizinischen und psychosozialen Versorgung sind vorhanden und notwendig.
MMW: Wie geht es den Patienten in der Corona-Pandemie? Haben sie ein erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken?
Bogner: Die Tatsache, dass jemand HIV-infiziert ist, führt an sich nicht zu einem erhöhten Corona-Risiko. Aber weil HIV-Infizierte eben manchmal das falsche Geburtsdatum haben oder zu hohe Zuckerwerte oder zu hohen Blutdruck, haben sie, so wie ihre Altersgenossen auch, dadurch bedingt ein erhöhtes Risiko. Etliche Patienten, die ich selbst betreue, haben Corona durchgemacht und sind genauso durchgekommen wie andere auch, also meist ohne, manchmal mit Krankenhausaufenthalt. Ich kenne mindestens 20 HIV-Infizierte, die Corona gut überstanden haben. Für alle anderen gilt, sich so gut wie möglich vor einer Infektion zu schützen.
MMW: Was würden Sie HIV-Patienten für diesen Winter raten, auch im Hinblick auf Grippe?
Bogner: Wir raten allen unseren Patienten zur Influenza-Impfung. Das Angebot wird auch bereitwillig angenommen. Dieses Jahr wird die Impfrate wahrscheinlich wesentlich höher sein als sonst, wobei es gar nicht genug Impfstoffe für alle gibt. Meine Prognose wäre aber, dass die Influenzawelle diesmal sehr gering ausfällt, wegen der Maskenpflicht. Masken schützen ganz erheblich. Übrigens auch vor anderen Erkrankungen wie der Meningokokken-Meningitis.
MMW: Würden Sie HIV-Patienten die Impfung gegen SARS-CoV-2 empfehlen, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht?
Bogner: Ja, unbedingt. Die Einführung wird stufenweise erfolgen. Wer jetzt eine Indikation für die Influenza-Impfung hat, wird wohl auch zu den ersten gehören, die den Corona-Impfstoff bekommen.
MMW: Gerade haben drei Wissenschaftler den Nobelpreis für ihre Forschung am Hepatitis-C-Virus erhalten. Wie man gesehen hat, konnte damit der Grundstein für eine zuverlässig kurative Therapie gelegt werden. Rechnen Sie damit, noch zu erleben, dass das auch bei HIV erreicht wird?
Bogner: Ich sage allen meinen Patienten, dass die antiretrovirale Therapie eine Überbrückungsmaßnahme ist bis zu dem Zeitpunkt, wo eine Heilung der HIV-Infektion erreicht werden kann. Ich kann mir sogar sehr gut vorstellen, dass ich den Tag erlebe, wo dies relativ unkompliziert möglich sein wird. Ob das noch zehn oder zwanzig Jahre dauert, weiß ich nicht, aber ich bin da optimistisch.
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Oberhofer, E. HIV: "Wir behandeln heute die Folgen der Gesundung". MMW - Fortschritte der Medizin 162, 12–13 (2020). https://doi.org/10.1007/s15006-020-4547-9
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