Grippeverdacht -- In der Grippesaison ist der Einsatz von Neuraminidasehemmern offenbar auch im ambulanten Bereich sinnvoll. Insbesondere schwer erkrankte, komorbide Senioren über 65 Jahre profitieren von einer kalkulierten Therapie.

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Bei schwer erkrankten Älteren reduzierte Oseltamivir die Krankheitsdauer um drei Tage.

Gegenwärtig wird Oseltamivir bei hoher saisonaler Influenza-Aktivität vor allem für die frühzeitige kalkulierte Therapie bei hospitalisierten Patienten mit mittelschwerer bzw. schwerer Pneumonie empfohlen [1]. Eine "hohe Wirksamkeit" ist laut Prof. Mathias Pletz außerdem für die Postexpositionsprophylaxe (PEP) bei Erwachsenen nachgewiesen. Das RKI hat dem bereits mit der Aufnahme von Oseltamivir in den Influenza-Pandemieplan [2] Rechnung getragen.

Für den therapeutischen Einsatz im ambulanten Bereich allerdings fehlte es bislang an Daten aus unabhängigen randomisierten Studien. Solche hat nun die EU-geförderte ALIC4E-Studie mit 3.266 Teilnehmern (Kinder > 1 Jahr und Erwachsene) geliefert [3].

Das Design sah eine kalkulierte Therapie bei Patienten mit "grippeartigen Symptomen" vor. Ergebnis: Unter Oseltamivir waren die Patienten im Mittel etwa einen Tag früher wieder genesen als in der Vergleichsgruppe mit Standardtherapie. Bei schwer kranken Patienten über 65, die vor Therapiebeginn bereits seit 48-72 Stunden Grippesymptome gezeigt hatten, konnte die Krankheitsdauer sogar um drei Tage verkürzt werden.

Zum Nutzen von Oseltamivir hat es in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen gegeben. Die Autoren verschiedener Metaanalysen kamen zu teilweise widersprüchlichen Ergebnissen, wobei dies nach Pletz unter anderem auf unterschiedliche Einschlusskriterien zurückzuführen war. "Pragmatische Studien", so Pletz, "orientieren sich an der Versorgungsrealität." In der ALIC4E-Studie habe man kalkuliert therapiert, ohne das Ergebnis der PCR abzuwarten (diese war letztlich bei 52% von 3.059 Teilnehmern positiv ausgefallen). Für den Infektiologen bemerkenswert war, dass offenbar auch Patienten von der Behandlung profitierten, bei denen andere virale Erreger als Ursache der grippeähnlichen Symptome nachgewiesen wurden. Bei immerhin 9% aller Teilnehmer hatten die Forscher endemische Coronaviren (nicht SARS-CoV-2!) gefunden.

Den Einsatz von Oseltamivir bei V. a. COVID-19 im ambulanten Bereich rechtfertigten die Daten jedenfalls bislang nicht. Der Experte sieht hierin allerdings eine "interessante Therapieoption", die weiter untersucht werden sollte.

Quellen: Infektio-Update, 4./5. September 2020, online 1. S3-Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie der Deutschen Gesellschaft für Pneu- mologie und Beatmungsmedizin. AWMF-Registernummer 020-020. https://www.awmf. org/leitlinien/detail/ll/020-020.html 2. Nationaler Influenza-Pandemieplan des Robert-Koch-Instituts. https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/I/Influenza/Pandemieplanung/Downloads/Pandemieplan_Teil_II_ gesamt.html 3. Butler CC et al. Lancet 2020; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)32982-4