Im Rahmen einer Koloskopie kann es offenbar passieren, dass Krebszellen verschleppt werden und zu Zweitkarzinomen führen (Backes et al. Gastroenterol 2019). Dr. Holger Lutz vom Elblandklinikum Radebeul erklärt, warum man die iatrogene Tumoraussaat trotzdem nicht fürchten muss.

MMW: Hat Sie das Ergebnis der Studie überrascht?

Lutz: Letztlich hat mich das Ergebnis nicht überrascht. Die Datenlage ganz allgemein zu den sogenannten Impfmetastasen, unabhängig von der Koloskopie, ist zwar uneinheitlich. Es gibt immer wieder entsprechende Fallberichte und kleine Fallserien, z. B. bei der endosonografischen Punktion des Pankreaskarzinoms, aber auch bei anderen Tumorentitäten wie Mammakarzinom oder Melanom. Relativ gute Daten gibt es zu einer Tumoraussaat in der Leber durch Punktion eines hepatozellulären Karzinoms. Aber groß angelegte Studien, die einen sicheren Nachweis erbringen, fehlen bisher. Die hier vorgestellte Studie hat aber nachvollziehbar zeigen können, dass Krebszellen auch im Rahmen eines koloskopischen Eingriffs verschleppt und ausgesät werden können.

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Iatrogene Tumoraussaat über das Koloskop? Das Risiko ist relevant, aber einfach zu beherrschen.

MMW: Wie stellt man sich hier die Tumoraussaat vor?

Lutz: Die Studienautoren haben gezeigt, dass Tumorzellen, die man durch eine Biopsie aus einem Primärtumor im Kolon in den Arbeitskanal einbringt, in Zellkultur wachsen konnten. Das ist letztlich der Mechanismus, den man sich vorstellt: Nach der Biopsie eines kolorektalen Karzinoms liegt möglicherweise eine Kontamination mit lebendigen Tumorzellen im Arbeitskanal vor. Wenn nun mit dem gleichen Gerät an einer anderen Stelle nochmals eine Biopsie entnommen, eine Injektion durchgeführt oder ein Polyp abgetragen wird, dann kann es dazu kommen, dass diese Tumorzellen über die eingebrachte Zange oder Nadel aufgenommen und in die gesunde Schleimhaut oder in den Bereich, wo gutartige Polypen wachsen, oder gar in das Peritoneum eingetragen werden. Dort können die Zellen dann zu einem metachronen Zweitkarzinom führen.

MMW: Wie hoch ist das Risiko dafür?

Lutz: In der Literatur wird das Risiko in dieser speziellen Situation auf etwa 1% geschätzt. Das ist am Ende des Tages aber relativ irrelevant, weil es eine einfache Möglichkeit gibt, das Risiko zu eliminieren: Nach der Biopsie einer potenziell malignen Läsion muss der Endoskopiker auf eine weitere Intervention im Rest des Kolons mit dem gleichen Gerät verzichten. Wenn die Koloskopie zeigt, dass in der gleichen Sitzung noch an einer anderen Stelle eine Polypektomie, Markierung oder Biopsie durchgeführt werden muss, dann sollte das Instrumentarium, inklusive des Geräts, komplett gewechselt werden. Wenn man das so macht, schließt das eine iatrogene Tumoraussaat komplett aus.

MMW: Ist dieses Vorgehen schon Standard?

Lutz: Wir haben aufgrund der Daten unser Prozedere so angepasst. Die Studie hat für viel Aufmerksamkeit bei Gastroenterologen und Endoskopikern gesorgt. Viele stellen jetzt ihre Vorgehensweise um. Die Studie hat ins Bewusstsein gerückt, dass die iatrogene Tumoraussaat doch ein relevantes Risiko ist, das aber durch eine einfache Änderung beseitigt werden kann.

MMW: Was sollten Hausärzte Patienten sagen, die Angst haben, dass bei einer Koloskopie Tumorzellen gestreut werden?

Lutz: Generell ist die Tumoraussaat im Rahmen einer Koloskopie eine sehr seltene Komplikation. Diese seltene Komplikation kann durch den Wechsel des Gerätes und des Instrumentariums verhindert werden. Falls die Patienten Sorgen haben, dann sollten sie das im Aufklärungsgespräch ansprechen und fragen, wie das in der Klinik gehandhabt wird, damit sie Sicherheit gewinnen.

Interview: Beate Schumacher

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Interview

Dr. med. Holger H. Lutz

Leitender Oberarzt Bereich Gastroenterologie, Klinik für Innere Medizin und Intensivmedizin, Elblandklinikum Radebeul