Sexuelle Funktionsstörungen sind typische Folgen einer Diabeteserkrankung - auch bei Frauen. Ärztliche Sensibilität für das Problem ist der erste Schritt zum therapeutischen Erfolg.

Bei Diabetespatientinnen sind sexuelle Funktionsstörungen fast genauso häufig wie bei Männern. So hatten in der US-amerikanischen UroEPIC-Studie 42% der Frauen mit langjährigem, insulinpflichtigem Diabetes eine sexuelle Dysfunktion (Wessells H et al. J Urol 2011;185(5):1828-34). Andere Untersuchungen setzten die Prävalenz sogar bei bis zu 70% an, sagte Prof. Alice Cheng, Endokrinologin und Sexualmedizinerin von der Universität Toronto.

Sexuelle Unlust ansprechen!

Im Vordergrund steht dabei die sexuelle Unlust oder "hypoactive sexual desire disorder" (HSDD). Cheng skizzierte ihr kommunikatives und therapeutisches Vorgehen in dieser Konstellation. Entscheidender Schritt sei, das Thema aktiv anzusprechen. Sexualität dürfe beim Diabetologen kein Tabu sein: "Drei von vier Frauen wollen über dieses Problem reden, und genauso viele wünschen, dass der Arzt das Gespräch beginnt." Eine unverfängliche Eingangsfrage könne sein, ob die Patientin noch sexuell aktiv sei. Auch eine spezifischere Frage wie "Gibt es, abgesehen vom Diabetes, sexuelle Probleme, über die Sie mit mir sprechen möchten?" sei oft hilfreich.

Liegt ein HSDD vor und besteht entsprechender Leidensdruck, dann sollte es im ersten Schritt darum gehen, modifizierbare biopsychosoziale Faktoren zu adressieren. Das Spektrum reicht von Partnerschaftsproblemen, bei denen eine psycho- und/oder sexualtherapeutische Beratung indiziert sein kann bis hin zu behandelbaren somatischen Komorbiditäten, die mit sexuellen Funktionsstörungen einhergehen können. Dazu zählen die arterielle Hypertonie, endokrine Erkrankungen aller Art sowie psychische Erkrankungen. Auch eine genaue Medikationsanamnese gehöre bei jeder Frau mit Diabetes und sexuellen Funktionsstörungen dazu, so Cheng.

Pharmakologische Optionen

Für die Therapie der HSDD sind in den USA Flibanserin und Bremelanotid zugelassen, so Cheng. Außerdem gibt es weitere Medikamente, die zwar hierfür weder in den USA noch in Europa zugelassen sind, für die aber klinische Studien und/oder Fallserien Hinweise auf eine Wirksamkeit gegeben haben.

Flibanserin wirkt als multifunktionaler Serotonin-Agonist/-Antagonist, der im präfrontalen Kortex, im Nucleus accumbens und im Hypothalamus das Gleichgewicht zwischen Dopamin/Noradrenalin einerseits und Serotonin andererseits in Richtung Dopamin/Noradrenalin verschiebt. Es hatte in der BEGONIA-Studie sowie in einer gepoolten Analyse dreier randomisierter Studien bei prämenopausalen Frauen (Simon JA et al. J Womens Health 2019; 28:769-77) eine signifikante Wirksamkeit, gemessen mit dem Female Sexual Function Index (FSFI). Die SNOWDROP-Studie zeigte auch bei postmenopausalen Frauen eine Effektivität (Simon JA et al. Menopause 2014;21:633-40). Dafür gibt es allerdings auch in den USA keine Zulassung.

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Bei Frauen mit Diabetes steht die sexuelle Unlust im Vordergrund.

Anders wirkt Bremelanotid, ein Melanokortin-4-Rezeptor-Agonist. Während Flibanserin täglich oral eingenommen wird, muss Bremelanotid 45 Minuten vor dem Sex subkutan injiziert werden. Daneben seien - off-label - bei prämenopausalen Frauen Versuche mit Bupropion und Buspiron gerechtfertigt, so Cheng. Bei postmenopausalen Frauen könne zudem über den Einsatz von Testosteron nachgedacht werden: "HSDD in der Postmenopause ist für Testosteron bei Frauen die einzige evidenzbasierte Indikation." Wichtig sei, den Verlauf der Testosteronspiegel zu kontrollieren und auf klinische Zeichen einer Androgenüberdosierung zu achten.

Quelle: Virtueller ADA-Kongress, 12.-16.6.2020