Das Krankenpflegepraktikum Mitte der 1970er-Jahre habe ich als intensive Lernphase in Erinnerung. Gleich am ersten Tag wurde ich ohne Anleitung ans Bett eines laut schnarchenden Patienten mit orangefarbener Haut gesetzt. „Halt dem Mann den Mund feucht!“, befahl die Nonne im Amt der Stationsschwester und stellte mir einen Topf Kamillentee und Tupfer hin. Dass der Mann im hepatischen Koma lag und sterben würde, erfuhr ich nicht, und mit 18 Jahren hatte ich auch noch nie einen Sterbenden gesehen. Meine Hilflosigkeit in dieser Situation werde ich so wenig vergessen wie seinen Namen. Am nächsten Tag erfuhr ich beiläufig, dass er in der Nacht verstorben war.

Die nächste Lektion erteilte mir die Putzfrau, der ich als Hilfe zugeteilt wurde und der ich mit der erhoben-gerümpften Nase einer angehenden Medizinstudentin folgte. Als sie mich mich mit dem Schrubber hantieren sah, nahm sie ihn mir ab und meinte: „Biste wohl verwöhnt und haste noch nie geputzt. Komm, ich zeig dir, wie’s geht — auch das muss man ordentlich machen!“ Nie habe ich vergessen, wie dabei aus meiner Überheblichkeit Scham wurde.

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Sie ist vielleicht noch zu selbstsicher.

© AaronAmat / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Die intensivsten Lernsituationen lassen sich nicht ins Curriculum des Medizinstudiums einplanen und oft auch nicht pädagogisch abfedern. Aus heutiger Perspektive bin ich mir sicher, dass gerade aus Überforderung, Unterforderung und Unsicherheit so etwas wie Demut erwachsen kann — eine Haltung, die vielleicht den Unterschied zwischen Mediziner und Arzt ausmacht.