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Frage: Gibt es Kriterien für das therapeutische Vorgehen bei infizierten Wunden?

Antwort: In nahezu allen Wunden findet sich eine Vielzahl von Bakterien. Bislang ist nicht eindeutig geklärt, ob eine bakterielle Besiedelung die Heilung dieser Wunden auch obligat behindert. So können Bakterien, z. B. durch Freisetzung proteolytischer Enzyme, ein physiologisches Débridement unterstützen und so zu einer rascheren Wundheilung beitragen. Gefürchtet sind aber neben multiresistenten Bakterien insbesondere solche, die zu klinisch relevanten Krankheitsbildern wie Erysipelen oder Phlegmonen bis hin zur Sepsis führen können.

Harmlos oder (lebens-)gefährlich?

Ein großes praktisches Problem ist die Terminologie, die nicht einheitlich ist, aber für die klinische Einschätzung und Einleitung einer spezifischen Therapie entscheidende Bedeutung hat. So kann etwa mit den Begriffen „Kontamination“ oder „Besiedelung“ eine unkomplizierte Wundsituation mit Bakterien, die sich nicht replizieren, beschrieben werden. Solche Wunden benötigen trotz Nachweis von Bakterien keine spezifische antimikrobielle Therapie.

Wichtig ist es, von unproblematischen Wunden die tatsächlich klinisch infizierten Wunden zu differenzieren. Es wurde diskutiert, dass als ein klinisches Zeichen einer lokalen Infektion ein Erythem, das mehr als 2 cm über den Wundrand hinaus reicht, gewertet werden kann. Dieses Symptom ist jedoch sehr unspezifisch und muss von zahlreichen Differenzialdiagnosen wie z. B. einer Stauungsdermatitis oder allergischen Kontaktdermatitis abgegrenzt werden.

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Eine Rötung, die mehr als 2 cm über den Wundrand hinaus reicht, kann ein klinisches Zeichen für eine lokale Infektion sein.

Wunde: © RusN / Getty Images / iStock

Lokale Infektion lokal behandeln

Wunden, die ausschließlich lokale Infektionszeichen bieten, sollten auch ausschließlich lokal behandelt werden. Entsprechend den aktuellen interdisziplinären Experten-Konsensusempfehlungen kommen insbesondere für Patienten mit komplizierten bzw. chronischen Wunden Wundtherapeutika mit Polihexanid oder Octenidin infrage [1,2,3]. Zu beachten ist hierbei, dass Octenidin eine Mindesteinwirkzeit von 2 Minuten und Polihexanid von mindestens 15 Minuten benötigt, um eine zuverlässige Wirksamkeit zu garantieren. Daher werden zunehmend neben den flüssigen Galeniken auch Hydrogele oder Wundauflagen mit diesen Antiseptika eingesetzt. Die Rolle von silberhaltigen Wundauflagen wird kontrovers diskutiert, kann aber derzeit auch noch als eine weitere geeignete Alternative gesehen werden. Potenziell zytotoxischere Substanzen, die z. B. PVP-Jod beinhalten, sollten ausschließlich kurzfristig bzw. bei akuten Wunden eingesetzt werden. Die Verwendung von Farbstofflösungen oder lokal applizierten Antibiotika gilt heute in der Wundbehandlung als weitestgehend obsolet [3].

Eine Ausnahme von dieser klinisch orientierten Vorgehensweise stellen Patienten dar, die beispielsweise aufgrund einer Immundefizienz ein erhöhtes Infektionsrisiko (Wound-at-risk, W.A.R.) aufweisen und daher eine prophylaktische topische antiseptische Therapie auch ohne das Vorliegen von klinischen Infektionszeichen erhalten sollten [4]. Für die Einschätzung von Kriterien, die aufgrund individueller Faktoren zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen können, wurde interdisziplinär eine Checkliste, der sog. W.A.R.-Score erstellt [5].