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Habe ich COVID vielleicht schon durchgemacht und bin jetzt immun? Antwort auf diese Frage erhoffen sich viele Menschen von Schnelltests auf SARS-CoV-2-Antikörper. Labormediziner Dr. Matthias Orth vom Marienhospital Stuttgart warnt eindringlich vor dem Einsatz dieser Tests.
MMW: Wie funktioniert der Antikörper-Nachweis im Schnelltest?
Orth: Die Tests funktionieren ähnlich wie Schwangerschaftstests. Man gibt einen Tropfen Patientenblut in eine Testkassette, meist noch ein Lösungsmittel dazu. Dann wird das verdünnte Blut über ein Absorptionsbett hineingezogen und, wenn Antikörper vorhanden sind, kommt es zu einer Farbentwicklung durch kolloidales Gold, das an Virusantigen gekoppelt ist. Es sind qualitative Tests, die in der Regel sowohl IgM als auch IgG im Patientenblut nachweisen. Die Tests sind aber alle nicht für den Gebrauch durch den Patienten vorgesehen, sondern ausschließlich für medizinisches Fachpersonal.
MMW: Was lässt sich aus einem negativen bzw. positiven Testergebnis ableiten?
Orth: Wenn keine Bande erscheint, dann hat der Patient entweder keine Antikörper, also keinen Kontakt mit SARS-CoV-2 gehabt, oder er ist hochinfektiös, weil in der Frühphase der Erkrankung ja noch keine Antikörper vorhanden sind. Wenn der Test dagegen positiv ausfällt, ist der Patient entweder hochinfektiös, weil er sich in der Spätphase der Erkrankung befindet, oder er hat COVID bereits durchgemacht und ist vermutlich immun oder er hat kreuzreagierende Antikörper gegen andere Coronaviren. Heißt: Diese Tests haben eigentlich keine Aussage.
MMW: In den Fachinformationen ist zu lesen, dass die Tests Patienten mit negativer bzw. positiver PCR gut differenzieren können ...
Orth: Die Frage ist, mit welchen Patientengruppen das ausgetestet wurde. Wenn ich das bei zehn Erkrankten prüfe und der Test fällt immer positiv aus, ergibt das zwar eine Sensitivität von 100%, aber das ist angesichts der Testgruppe natürlich völlig unzureichend für eine solche Erkrankung.
In der Frühphase ist der Test zu insensitiv, z. B. weil IgM oft nicht vor Tag 5 gebildet wird. Selbst wenn eine Infektion durchgemacht wurde, wissen wir nicht, ob und wie viele neutralisierende oder evtl. nur kreuzreagierende Antikörper vorhanden sind.
MMW: Immerhin hat mindestens einer der Tests eine Emergency-Zulassung der FDA.
Orth: Die FDA-Zulassung war eine Verzweiflungstat, weil man in den USA viel zu lange mit der Testentwicklung gewartet hat. In Deutschland haben diese Tests eine CE-Zertifizierung. In der Fachinformation steht dann als „intended use“ der Nachweis von IgM und IgG gegen SARS-CoV-2. Das stimmt, aber über Immunität — und das ist es ja, was den Patienten interessiert — sagt es nichts aus. Deswegen sind die Tests auch nur für medizinische Fachkreise zugelassen. Der Arzt muss den Test interpretieren, aber das kann er nicht. Ich rate, von den Antikörper-Schnelltests die Finger zu lassen.
MMW: Welche Rolle spielt die COVID-Prävalenz für die Aussagekraft der Schnelltests?
Orth: Derzeit ist die Prävalenz noch extrem niedrig. Das heißt, wenn der Test nicht ausreichend spezifisch ist, haben wir sehr viele falsch positive Ergebnisse. Wenn aber irgendwann einmal jeder Zweite in der Bevölkerung infiziert ist, kann man auch Tests mit schlechterer Spezifität verwenden. Derzeit sind die Tests komplett ungeeignet — in Bezug auf Sensitivität und Spezifität. Ich gehe so weit zu sagen: Wenn ein Hausarzt einen solchen Schnelltest anwendet, ist das Körperverletzung. Dem Patienten muss Blut abgenommen werden und er kann dadurch keinen Nutzen haben, weil das Ergebnis — positiv oder negativ — nicht medizinisch interpretiert werden kann.
MMW: Die ELISA-Tests, die zum Nachweis von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 im Labor gemacht werden, sind nicht mit diesen Problemen belastet?
Orth: Auch die quantitative Labordiagnostik per ELISA auf IgG-, IgA- und IgM-Antikörper gegen SARS-CoV-2 ist noch hochproblematisch. Wenn jemand eine leichtere Form der Infektion durchgemacht hat, sind die IgG-Antikörper-Titer teilweise nicht ausreichend erhöht. Bei IgA-Antikörpern gibt es Probleme mit der Spezifität: Wenn man Blutspenden aus dem Vorjahr untersucht, finden man einen relativ hohen Anteil mit positivem Ergebnis. Epidemiologisch ist der Antikörpernachweis hochinteressant — um zu sehen, wie die Durchseuchung der Bevölkerung voranschreitet. Aber ich finde es höchst problematisch, derzeit diese Tests für Aussagen über den individuellen Zustand eines Patienten zu nutzen.
MMW: Hausärzte erhalten Anfragen von Patienten, die auf eine durchgemachte COVID-Erkrankung getestet werden wollen. Was sollen sie ihnen sagen?
Orth: Dass sie noch ein paar Wochen warten sollen, bis es bessere Tests gibt. Ich kann mir vorstellen, dass man auch Tests von verschiedenen Herstellern kombinieren muss. Die Konsequenz einer falschen Diagnose ist immens, wir sprechen immerhin von einem S3-Erreger; wenn ich jemandem fälschlich Immunität bescheinige, kann er erkranken und im schlimmsten Fall sterben. Umgekehrt kann es sein, jemand hat die Erkrankung gehabt und eine T-Zell-Immunität entwickelt, aber der Antikörpertest ist negativ. Der würde als negativ gelten, obwohl er geschützt ist.
MMW: Sehen Sie denn, angesichts der Engpässe in der Labordiagnostik, Schnelltests prinzipiell als sinnvolle Ergänzung?
Orth: Es wäre sehr wünschenswert, empfindliche Antigentests zu nutzen, um die Frühphase der Erkrankung zu erkennen. Hier ist eine sehr hohe Spezifität nicht so wichtig bzw. eine Kreuzreaktion nicht so dramatisch. Bei einem positiven Antigentest könnte man schnell die spezifische PCR-Diagnostik nachschieben.
MMW: Wie weit ist die Entwicklung von Antigen-Schnelltests?
Orth: Viele Forscher beschäftigen sich damit, es ist aber noch kein Test auf dem Markt. Man braucht ein einzigartiges Virusprotein, das nur im SARS-CoV-2 Virus und nicht in verwandten Viren vorhanden ist. In den Schnelltests können leider nur relativ unspezifisch die Antigen-Antikörper-Bindungen untersucht werden. Ich weiß daher nicht, ob ein einziger monoklonaler Antikörper ausreicht gegen das Virusprotein oder aber ob mehrere Antikörper und ein aufwendigeres Schnelltestformat notwendig sind, mit denen verschiedene Virusantigene hoffentlich selektiv detektiert werden können. Bis es anwendbare Tests gibt, wird es sicher noch Monate dauern.
Interview: Dr. Beate Schumacher
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Springer Medizin. „Anwendung von Antikörper-Schnelltests ist Körperverletzung“. MMW - Fortschritte der Medizin 162, 14–16 (2020). https://doi.org/10.1007/s15006-020-0412-0
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