figure 1

Portraitfoto: © www.andreasfriese.de Frau mit Fieber: © StockPhotoPro / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

figure 2

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel

Die Diskussion zum Einsatz nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAR) bei viralen Infekten wird seit Langem geführt. Bereits 1963 beschrieb der australische Pathologe Reye bei viralen Infekten eine akute Enzephalopathie und Hepatopathie, die mit der Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) in Verbindung gebracht wurde. Ob diese Symptomatik tatsächlich auf die Therapie oder vielmehr auf den viralen Infekt zurückzuführen ist, ist bis heute nicht eindeutig entschieden. Diese Einzelfälle führten jedoch dazu, dass in der Kinderheilkunde ASS weitgehend von Ibuprofen oder Paracetamol verdrängt wurde. Allerdings gibt es auch Einzelfallberichte und tierexperimentelle Studien, die zeigen, dass die Behandlung viraler Infekte mit Ibuprofen zu ähnlichen Störungen führen kann. Konsequenz war, dass Paracetamol als das vermeintlich verträglichste Medikament bei Fieber und Infekten in der Kinderheilkunde zunehmend eingesetzt wurde.

Nach pharmakologischer Wirkung differenzieren!

NSAR wie ASS oder Ibuprofen und Paracetamol müssen hinsichtlich ihrer pharmakologischen Wir kung differenziert betrachtet werden. Sie haben verschiedene Einsatzschwerpunkte:

  • ASS hat eine ausgeprägte thrombozytenaggregationshemmende Wirkung.

  • Bei Ibuprofen dagegen ist dieser Effekt auf die Blutgerinnung kaum relevant.

  • Paracetamol ist in der Schmerztherapie kaum wirksam. Es kann jedoch ggf. zur leichten Fiebersenkung erwogen werden.

  • NSAR wie Ibuprofen, ASS und Diclofenac haben zusätzlich eine antiinflammatorische Wirkung. Will man gerade diese Eigenschaft für die Behandlung nutzen, sind NSAR vorzuziehen.

EMA-Empfehlung heizte Nachfrage nach Ibuprofen an

Die aktuelle Kontroverse zum Einsatz von Ibuprofen bei Covid-19 (Coronavirus-Disease-2019) entstand vor dem Hintergrund, dass die European Medicines Agency (EMA) Ibuprofen für den Einsatz bei Covid-19 empfohlen hat. Dies führte vielerorts zu Lieferengpässen, da die Bevölkerung sich für alle Fälle eindecken wollte. Aktuelle Untersuchungen in Italien zeigen, dass bis zu 75% der Infektionen mit SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory SyndromeCoronavirus-2) asymptomatisch ablaufen oder nur sehr leichte Symptome aufweisen. Die Selbstmedikation von Fieber mit Ibuprofen wurde daher als sachgerecht vermittelt.

Warnung aufgrund von Einzelfällen

Der französische Gesundheitsminister kritisierte diesen Vorschlag mit dem Hinweis, dass bevorzugt Paracetamol eingesetzt werden sollte, da Ibuprofen bei Covid-19 den Krankheitsverlauf verschlechtern könnte. Französische Medien griffen diese Warnung auf und berichteten von einzelnen Jugendlichen mit Covid-19, deren Erkrankungssymptomatik sich nach der Einnahme von Ibuprofen verschlechtert hatte. Das betroffene Krankenhaus selbst bestätigte dies jedoch nicht und lehnte es ab, sich an Spekulationen zu beteiligen, die in den sozialen Netzen schnell und umfangreich kursierten. Dies führte zu der Auffassung, dass es sich bei der Warnung vor NSAR in der Behandlung von Covid-19 um „Fake News“ handle.

EMA legt nach: keine Evidenz für erhöhtes Risiko

In der Folge stellte die EMA fest, dass zurzeit keine wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Ibuprofen und der Verschlechterung von Covid-19 existiert. Die Situation soll laut EMA eng prospektiv im Zusammenhang mit der Pandemie überwacht werden.

Die Behörde wies jedoch auch darauf hin, dass bei der Behandlung von Fieber und Schmerzen bei Covid-19-Patienten alle verfügbaren Optionen erwogen werden sollten, einschließlich Paracetamol und verfügbaren NSAR. Die verschiedenen Wirkungsweisen und Vorteile der unterschiedlichen Wirkstoffe sollten dabei reflektiert werden.

Bis heute gibt es keine genauen Erkenntnisse zwischen einem schädlichen Zusammenhang von NSAR und Covid-19. Gleichwohl sollte man Vorsicht walten lassen, da es ausreichende Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Gabe von NSAR und sowohl respiratorischen als auch kardiovaskulären Nebenwirkungen gibt. Die reflexartige standardmäßige Gabe von NSAR als primäre Option für die Behandlung von Symptomen von Covid-19 ist daher nicht zu empfehlen.

Fieber nicht reflexhaft senken!

Generell sollte die weitverbreitete Gabe von Schmerzmitteln im Rahmen der Selbstmedikation zur Fiebersenkung bei Erkrankungen der Atemwege in Frage gestellt werden. Fieber kann im Krankheitsverlauf eine Reihe von Vorteilen haben, die genutzt werden sollten. Fieber kann einerseits als prognostisches Kriterium im Rahmen einer Infektionserkrankung betrachtet werden, das mit einer höheren Heilungsrate assoziiert ist. Es hemmt die Reproduktion von Bakterien und die Replikation von Viren. Hitzeschockproteine, die bei Fieber freigesetzt werden, können Zellläsionen verhindern. Aufgrund der aktuellen Evidenz ist es nicht begründet, Medikamente wie Ibuprofen oder Paracetamol zur routinemäßigen Behandlung von akuten respiratorischen Infektionen einschließlich Covid-19 einzusetzen. Dies gilt insbesondere bei milden Verläufen. Ein bewährtes alternatives Medikament bei hohem Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht, ist Novaminsulfon.

Fieber ist ein häufiges Symptom bei Covid-19, Influenza und anderen Infekten des Respirationstraktes. Es soll und muss aber nicht reflexartig supprimiert werden. Literaturübersichten zeigen, dass Antipyretika bei Kindern mit Infektionskrankheiten die Erholungszeit nicht verkürzen.

Nach Alter und Risiko differenzieren

Allerdings kann Paracetamol eine reduzierte Antikörperantwort bei Infektionen bedingen. Daher wird die Vermeidung fiebersenkender Mittel in der Frühphase der Infektion empfohlen. Diese Mittel sind auch nicht in der Lage, Fieberkrämpfe bei entsprechend disponierten Kindern zu verhindern.

Alte Menschen sind besonders von Komplikationen bei Covid-19 betroffen. Sie weisen auch bei schweren Infekten reduzierte Fieberantworten auf, was auf ein geschwächtes Immunsystem hinweist. Antipyretika bei Covid-19-Patienten im kritischen Zustand mit limitierter kardiopulmonaler Reserve können durch Fiebersenkung das Risiko für hypoxische Zustände reduzieren.

Die Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen mit ASS sollte unabhängig weiter erfolgen, da entzündungshemmende Effekte erst in viel höheren Dosierungen zu erwarten sind.

Ibuprofen bei Migräneattacken weiterhin erlaubt!

Ebenfalls unabhängig von dieser Problematik ist die episodische Gabe von Medikamenten wie Ibuprofen bei akuten Migräneattacken bei Kindern und Jugendlichen weiter sachgerecht, wenn erforderlich. Ein genereller Verzicht in der Behandlung von primären Kopfschmerzen ist im Rahmen der aktuellen Pandemie nicht begründet.