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Dr. med. Matthias Thöns

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RA Wolfgang Putz

_ Mit dem § 217 StGB war nicht nur „Geschäftemacherei“ verboten worden, sondern jede Förderung eines Suizids — auch wenn es das erste Mal war oder man kein Geld verlangte —, falls man in einem gleichgelagerten Fall wieder so handeln würde. Dies führte praktisch zu einem Totalverbot der Suizidhilfe.

Das Verfassungsgericht erklärte dieses Verbot für verfassungswidrig, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. Dies schließe auch das Recht ein, die freiwillige Suizidhilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Doch die Richter gingen noch weiter: Auch eine Beschränkung auf schwere Krankheitszustände verbiete die Verfassung — wie dies auch bei der Patientenverfügung in § 1901a Abs. 3 längst gesetzliche Regelung ist. Sowohl ein abgestufter Lebensschutz als auch ein abgestufter Schutz der Selbstbestimmung sind demnach verfassungswidrig.

Ist das der „Dammbruch“?

Prompt kam der Aufschrei konservativer Kreise: Vom „Dammbruch“ und der „Normalisierung der Selbsttötung“ war die Rede. Oft wird dabei nicht zwischen dem Grundrecht und einem Anspruch gegen eine andere Person auf Suizidhilfe unterschieden. Die Grundvoraussetzung der Freiverantwortlichkeit des Suizidenten wird in der Hitze der Polemik meist übersehen. Denn nach wie vor gilt: Wer einem nicht freiverantwortlichen Menschen bei der Selbsttötung hilft, wird als „mittelbarer Täter“ wegen Totschlags nach § 212 StGB mit bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Dies ist eine extrem abschreckende Strafdrohung für unqualifizierte Suizidhelfer, die Menschen in den Tod helfen, die eher fürsorgliche Hilfe bräuchten.

Zur Sicherung der Selbstbestimmung muss jede Neuregelung stets den Ausschluss psychischer Störungen, eine umfangreiche Aufklärung, die Dauer- und Ernsthaftigkeit des Todeswunschs sowie die Freiheit von Druck oder Bedrängnis gewährleisten. Die Richter empfehlen u. a. Zulassungsvoraussetzungen für Sterbehilfeorganisationen. Wo eine Berufsordnung der Landesärztekammer die Suizidhilfe untersagt, ist sie nun zu ändern. Hospizliche und palliative Angebote sind zu stärken. Übertherapie, die zu Ängsten vor Würdeverlust führt, muss abgebaut werden.

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Die Schwere der Krankheit darf kein Kriterium sein.

© grandriver / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Diese Hürden muss es geben

Je nach Lebenssituation sind unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit eines Selbsttötungswillens zu stellen. Das ist sehr zu begrüßen. Es besteht weitgehender Konsens, dass in therapierefraktären Leidenszuständen am Lebensende nachvollziehbar eine Alternativlosigkeit bestehen kann. Hier muss ein Vier-Augen-Prinzip reichen. In allen anderen Situationen wird sich der Suizidwillige jedoch u. a. einer eingehenden psychiatrischen Begutachtung vor und nach einer sicherlich nicht zu kurzen Wartezeit stellen müssen. Denn kaum ein Argument gegen Suizidhilfe ist so stichhaltig wie die Ambivalenz von Sterbewünschen. Ärzte sind gut beraten, freiwillige Suizidhilfe allenfalls in Gewissenskonflikt-Situationen am Lebensende bei dauerhaften Sterbewünschen anzubieten.

Unmissverständlich sagt das Urteil: Solange die Ärzte nicht mehrheitlich bereit sind, Freiverantwortlichen Suizidhilfe zu gewähren, schafft dies einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe.