_ In der Natur, bei Tieren und Pflanzen, finden wir viele Strategien, sich Vorteile gegenüber Artgenossen zu verschaffen. Auch bei Patienten sind solche zu beobachten. Beliebt in der Arztpraxis: Wie umgehe ich am geschicktesten die Warteschlange? Oder, um es salopp zu sagen: Wie drängelt man sich am raffiniertesten vor?

Diese Spezies beginnt ihre Sätze dann mit „Ach, ich will nur schnell...“ oder „Könnten Sie mal kurz ...?“ Aber darauf lasse ich mich auf keinen Fall ein, denn aus dem „nur“ oder dem „kurz“ können sich sehr zeitintensive Folgeforderungen ergeben, und deshalb überhöre ich gerade diese „Anreden“ gern.

So war es auch neulich, als eine Nierenstein-Patientin geheilt aus der Urologie zu mir zurückkehrte, glücklich von ihren Schmerzen befreit. „Frau Doktor, nur ganz schnell ...“, flötete sie durch den Gang. Ich ließ sie stehen, denn vermutlich war sie mit einem zehnseitigen Krankenhausbericht und einem erforderlichen Therapieplan inklusive Rezeptwunsch bewaffnet. Ich nahm lieber den tatsächlichen Nächsten dran.

Sie ließ aber nicht locker und insistierte, was ich von ihr eigentlich nicht gewöhnt bin. Als ich wieder ins Wartezimmer ging, um den Nächsten aufzurufen, stand sie immer noch im Türrahmen und wollte sich nicht vertrösten lassen. Sie überrumpelte mich regelrecht mit einem Redeschwall: „Frau Doktor, ich soll sie nur von Ihrem Patensohn grüßen, ein wirklich toller Arzt!“

Das war alles. Sie drehte sich um und ging die Treppe hoch. Und jetzt war es auf einmal an mir, in die ungewohnte Rolle zu schlüpfen: „Ach wie nett“, rief ich ihr nach, „kommen Sie doch mal kurz rein und erzählen Sie!“