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_ Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind die mit Abstand am häufigsten verordneten Antidepressiva. Sie entfalten ihre Wirkung über die 5HT-Rezeptoren. „Davon gibt es sehr viele Untertypen. Diese finden sich nicht nur im Gehirn, sondern in fast allen Organen“, so Prof. Kai G. Kahl, Hannover. Angesichts dieser Rezeptorenvielfalt sei es naheliegend, zu untersuchen, ob SSRI neben der antidepressiven Wirkung auch andere erwünschte oder unerwünschte Wirkungen haben.

Antidemenzielles Potenzial

Mehr als 20% der dementen Patienten leiden an einer Depression, subsyndromal ist die Assoziation sogar noch häufiger. Sind SSRI in der Lage, die Demenz günstig zu beeinflussen?

In einer klinischen Studie konnte gezeigt werden, dass eine SSRI-Langzeittherapie den Übergang vom MCI (minimal cognition impairment) zur Alzheimer-Demenz um drei Jahre verzögert, während sich unter anderen Antidepressiva eine erhöhte Progressionsrate ergab. Ein Einfluss einer depressiven Vorerkrankung oder einer antidepressiven Therapie auf die Liquorbiomarker fand sich allerdings nicht. „Zumindest ein Potenzial für eine protektive Wirkung von SSRI auf die Demenz muss man diskutieren und deshalb weiter erforschen“, so Dr. Claudia Bartels, Göttingen.

Ein Freund mit Launen

50–70% der Menschen mit einer Depression leiden auch an sexuellen Dysfunktionen, erklärte Prof. Tillmann Krüger, Hannover. Andererseits gehören Sexualstörungen auch zu den typischen Nebenwirkungen von Antidepressiva, wobei zwischen den einzelnen Substanzen relevante Unterschiede bestehen. Eine Erhöhung des serotonergen Tonus führt zu einer sexuellen Inhibition. Ungünstig im Hinblick auf die Sexualität sind deshalb Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram, Venlafaxin und Sertralin, günstig sind Moclobemid, Agomelatin, Amineptin, Nefazodon und Bupropion — bei ihnen liegt das Risiko im Placebobereich. Allerdings führt die antidepressive Wirkung per se auch zu einer Verbesserung der Sexualfunktion. „Ein SSRI ist somit im Hinblick auf die Sexualität ein Freund mit Launen“, so Tillmann. Auch nach Ende der SSRI-Therapie könne die Sexualität nachhaltig beeinträchtigt sein.

Einfluss auf den Knochen nicht bewiesen

Studien haben gezeigt, dass eine Depression mit einer niedrigen Knochendichte assoziiert ist. Auch wirkten sich in tierexperimentellen Studien Antidepressiva ungünstig auf den Knochenstoffwechsel aus, und die Einnahme eines Antidepressivums ist mit einer erhöhten Frakturrate assoziiert. „Allerdings ist ein Einfluss der SSRI auf die Knochendichte beim Menschen bisher nicht gesichert“, so Prof. Ulrich Schweiger, Lübeck. Deshalb dürften die negativen Effekte auf den Knochen weniger durch die SSRI, sondern eher indirekt durch einen Depression-assoziierten Lebensstil zu erklären sein.

Keine direkte Wirkung auf den Tumor

Psychiatrische Begleiterkrankungen sind bei Tumorpatienten häufig. Bei bis zu 25% der Betroffenen findet sich eine Major-Depression, bei ca. 5% eine generalisierte Angststörung. In der Leitlinie sind SSRI bei depressiven Tumorpatienten eine Klasse-I-Empfehlung. Doch welche Auswirkungen hat die Gabe eines SSRI auf die Tumorerkrankung?

Viele Tumoren besitzen 5HT-Rezeptoren. Serotonin moduliert die intrazelluläre Signaltransduktion, wodurch mitogene Faktoren aktiviert werden. Zudem induzieren SSRI die Glukoseaufnahme in die Tumorzellen. In Studien zeigte sich bei Patientinnen mit Ovarial- und Mammakarzinomen unter einer SSRI-Therapie eine verkürzte Zeit bis zur Progression des Tumorleidens. „Klinische Metaanalysen deuten auf eine erhöhte Tumorprogression bzw. metastatisches Wachstum bei Patienten mit einer SSRI-Therapie hin“, so Kahl. Allerdings habe sich in einer experimentellen Studie kein Zusammenhang zwischen der mitotischen Aktivität und einer SSRI-Stimulation bei Mamma-, Ovarial- und Lungenkarzinom gezeigt. Somit sei anzunehmen, dass die schlechtere Prognose durch eine schlechtere Adhärenz und einen ungünstigen Lebensstil infolge der psychischen Belastung bedingt ist.