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Scharf begrenzte Abschuppung der gesamten Haut an der Zeigefingerspitze.

© M. P. Wedig

_ Ein 57-jähriger Mann stellte sich mit einem Hautdefekt an der Spitze des rechten Zeigefingers in der Praxis vor. Die körperliche Untersuchung ergab eine örtlich klar begrenzte Desquamation der Fingerhaut. Der Patient berichtete, dass er eine nahe dem Nagelrand gelegene Dornwarze selbst behandelt hatte. Zweimal hatte er erfolglos versucht, sie manipulativ zu entfernen. Drei Tage zuvor hatte er sich dann entschieden, das bekannte Hausmittel Essigsäure anzuwenden. In der Annahme, damit einen schnelleren Effekt zu erreichen, setzte er anstelle eines 5%igen Haushaltsessigs eine 25%ige Essigessenz ein. Da sich die Flüssigkeit nicht gezielt aufbringen ließ, füllte er sie in ein Schälchen und badete den Finger darin.

Die Diagnose lautete Koagulationsnekrose. Der Flüssigkeitsverlust durch den Kontakt mit einer Säure erzeugt „Waschfrauenhände“: Die Epidermis an den Fingern wird weiß und faltig und löst sich bei tiefer reichender Schädigung von der Lederhaut ab. Optisch erinnert die Nekrose an Verbrennungswunden. Die Zersetzung der Eiweiße und die Koagulation begrenzen die Schädigung bei schwachen Säuren auf die äußeren Hautschichten. Starke Säuren wie Schwefelsäure erzeugen darüber hinaus thermische Schädigungen. Schmerzen treten bei Verätzungen nicht zwingend auf. So berichtete auch dieser Patient, dass er bei der Anwendung der konzentrierten Essigsäure keine Reize bemerkt hatte.

Die Differenzialdiagnose umfasst thermische Schäden der Haut, die toxische epidermale Nekrolyse und die akute toxische oder allergische Kontaktdermatitis. Ähnlichkeit besteht auch zum Staphylococcal scaled skin syndrome und zum Arzneimittelexanthem.

Scharf begrenzte, Schorf bildende Nekrosen ohne tiefere Schädigung deuten auf eine Säureverätzung mit hin. Sie kommt typischerweise bei Industriearbeitern vor. Eine Laugenverätzung ist dagegen unscharf begrenzt, ödematös und reicht in die Tiefe. Sie ist oft der Unachtsamkeit im Haushalt geschuldet. Frische Verätzungen werden mit Wasser gespült. Der Rat, verdünnte Sodalösung anzuwenden, ist nicht mit messbarem Nutzen belegt. Glukokortikoide werden abhängig von der Entzündungsreaktion angewendet. Nekrosen werden abgetragen. Plastische Deckungen können erforderlich werden. Infektionen verkomplizieren den Verlauf ebenso wie Keloidbildung und Narben mit Neigung zu Ulzeration und Entartung.

Nach der Abheilung der Nekrose wurde die Warze des Patienten mit 5-Fluorouracil/Salicylsäure behandelt. Die industrielle Zubereitung ermöglicht eine gezielte, haftende Anwendung. Die Warze heilte problemlos ab.