_ Als Lehrarzt der Uniklinik bekomme ich regelmäßig Studierende zugeteilt, die etwas über die Arbeit in der Hausarztpraxis lernen sollen. Da ich auf die Zuteilung keinen Einfluss habe, ist jeder neue Studierende eine Überraschung. Manche schaffen es durchaus, meinen Horizont zu erweitern.

So erschien einmal ein grimmig dreinschauender, ganz in Schwarz gekleideter Zwei-Zentner-Mann zum ersten Praktikumstag. Als erstes berichtete er, eine Doktorarbeit in der Rechtsmedizin zu schreiben. Dazu müsse er frisch eingelieferten Todesopfern die Temperatur messen — axillar und rektal!

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Meine Güte, wo hat er denn diesen Kittel her?

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Ich nahm zur Kenntnis, dass man mit einer einfachen hausärztlichen Technik den medizinischen Doktorgrad erlangen kann. Die Kleidung meines Praktikanten interpretierte ich im Kontext seiner Arbeit als eine Art Dienstkleidung beim Umgang mit Verstorbenen.

Ich gab zu bedenken, dass wir im Hausarztbereich vorwiegend mit lebenden Menschen zu tun haben und bat den Studenten, am Folgetag einen weißen Kittel mitzubringen. Der Kittel, den ich daraufhin zu sehen bekam, ging mit viel gutem Willen noch als dunkelweiß durch und befand sich in einem höchstgradigen Knitterzustand.

Die Gespräche mit ausgewählten Patienten führte mein Zwei-Zentner-Student mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen. Seine Fragen stellte er im Telegrammstil, nicht zu leise und nicht zu freundlich. Viele Patienten nahmen sofort Haltung an und antworteten ohne Umschweife.

Mehrfach glaubte ich, eingreifen zu müssen, aber es waren gar nicht alle unzufrieden! Manchem schien die direktive Ansprache sogar Sicherheit zu geben. So lernte ich in diesem Praktikum, dass Empathie und Sanftmut nicht immer die Schlüssel zu medizinischer Effizienz sind.

Trotzdem war ich froh, als aus der verknitterten Kitteltasche ein Alarmpieper ertönte. Mein Student erklärte: „Ich muss gehen. Ist gerade ‘ne Leiche gekommen.“ Flugs legte er seinen Kittel ab und steckte ihn in die Hosentasche. „Verwechseln Sie die beiden Thermometer nicht!“, rief ich ihm hinterher. Denn auch meine Studenten sollen das Hausarztpraktikum nicht verlassen, ohne etwas Nützliches gelernt zu haben.