_ Auf dem Weg zum Hausbesuch bei einer alleinlebenden 95-jährigen Patientin instruierte ich meinen Famulanten: das soziale Umfeld wahrnehmen, den psychischen und physischen Status, Fragilität, Versorgungslage etc. beurteilen, dazu die medizinischen Fakten erheben, in diesem Fall Blutdruck und Laborwerte. Hausarzt-Routine.

Wir kamen gleichzeitig mit der Nichte der Patientin an. In der Wohnung empfing uns ein strenger Uringeruch. Die hochbetagte, geistig noch völlig präsente Dame hatte sich tags zuvor schlecht gefühlt und das Bett nicht verlassen. Sie hatte weder Telefon noch Toilette erreicht, aber auch das Notrufarmband nicht betätigt. Behutsam fragte ich nach, ob nicht inzwischen doch ein betreutes Wohnen angezeigt wäre. Man dachte darüber bereits nach, die Patientin war sogar schon angemeldet.

Schließlich setzte ich mich auf die Bettkante, um Blut abzunehmen. Beim Aufstehen musste ich feststellen, dass man auch nach 25-jähriger hausärztlicher Tätigkeit nicht gefeit ist gegen Schnitzer. Mein rechtes Hosenbein war am Oberschenkel feucht — und ein dezenter Hauch von Ammoniak umwehte mich. Sehr, sehr unangenehm! Zumal ich den Heimweg mit der U-Bahn durchhalten musste.

Meinem Famulanten jedoch konnte ich eindrucksvoll vermitteln, dass man sich als engagierte Hausärztin bedingungslos (r)einsetzen muss!