_ Eine stark übergewichtige Frau aus dem benachbarten psychiatrischen Wohnheim kommt wegen aller möglichen Anliegen oft in die Sprechstunde. Jedes Mal ist sie voller Wünsche. Kaum ist einem entsprochen oder dessen Erfüllung begründet abgelehnt worden, präsentiert sie den nächsten. Es ist klar, dass ebendies zu ihrer Erkrankung gehört, doch macht dies den Umgang mit ihr nicht leichter.

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© [M] AaronAmat (Frau, Symbolbild mit Fotomodell) | eyetoeyePIX (Gummibär) / Getty Images / iStock

Bei der letzten Konsultation fragte sie wieder nach diversen Dingen, viele davon medizinisch nicht sinnvoll. Außerdem gelüstete es sie nach den Gummibärchen, von denen kleine Tütchen gut sichtbar in einem verschlossenem Glas bei mir im Regal stehen. Ich versagte ihr diesen Wunsch mit der Erklärung, dass diese als „Belohnung“ für Kinder nach der Impfung gedacht seien. „Ach so, schade!“, kommentierte die Patientin und verabschiedete sich.

Da sie die Tür offen ließ, konnte ich aber hören, dass sie an der Anmeldung den gleichen Wunsch noch einmal äußerte — und anscheinend prompt erfüllt bekam. Bis dahin war mir nicht klar gewesen, dass ein Versagen des Kurzzeitgedächtnisses auch zu ihrem Störungsbild gehörte!

Mittags sprach ich die Mitarbeiterinnen an der Anmeldung daraufhin an und erfuhr, dass sie sich bei jedem Besuch Gummibärchen geben ließ. Anfangs war es ein Tütchen, inzwischen schon drei. Die jungen Damen gaben zu, dass sie sich dabei nicht wohl fühlten, aber dem inständigen Bitten der Patientin nicht widerstehen konnten. Wir besprachen, wie geschickt es dieser Frau gelang, sich durch kindliches Benehmen Sympathie und Unterstützung zu sichern, obwohl sie mehr als doppelt so alt wie die Helferinnen ist.

Beim nächsten Kontakt wenige Tage später sprach ich die Patientin darauf an. Sie wusste sofort, was ich meinte, und stimmte mir zu, dass sie damit nicht richtig handele, weil sie ja kein Kind mehr sei. Diesmal hatte ich hinter ihr absichtlich die Tür wieder aufgemacht und so hörte ich, wie sie sich an der Anmeldung für ihr vorheriges Benehmen entschuldigte.

Ich dachte noch, dass das noch nicht einmal nötig gewesen wäre ... doch sofort im Anschluss fragte sie wieder nach Gummibärchen — wenigstens eine Tüte! Diesmal schafften es die Mädchen aber, ihr diese zu verwehren mit der Begründung, dass wir sie noch für die Kinder bräuchten. Die Patientin zog daraufhin enttäuscht ab.

Mich erinnert das doch sehr an die Geschichte vom Fischer und seiner Frau. Für unser Team war es aber eine gute Lektion, wie wir uns freundlich gegenüber unangemessenen Wünschen von Patienten abgrenzen können.