_ Es war Ende November, und ganz Darmstadt war schon weihnachtlich geschmückt und in allgemeiner Feststimmung. Ich war in der Innenstadt unterwegs, um einzukaufen. Um einen Geiger hatte sich eine große Menschentraube gebildet, denn er spielte herzzereißend die wohlbekannten Klänge des Air aus der 3. Orchestersuite von Johann Sebastian Bach. So bescherte er vielen Passanten mitten im Trubel einen Moment des Innehaltens.

Der Violinist hatte einen Hut vor sich stehen, und aus der Zuschauermenge trat eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen heraus, um ein paar Münzen hinein zu werfen: Mutter und Tochter Hand in Hand, ernst und still. Sie verweilten ein wenig und gingen weiter.

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Schon im November weihnachtet es sehr.

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Gerade diese Frau war es, die mir am Tag zuvor in Tränen aufgelöst erzählt hatte, dass ihr Mann sie wegen einer anderen verlassen hatte. Nun stand sie am Rande des finanziellen Ruins. Das schlimmste aber war, dass sie das Fahrrad, das auf dem Wunschzettel ihrer kleinen Tochter stand, nicht kaufen konnte. Vor einem Jahr noch waren solche Wünsche nicht der Rede wert gewesen, nun hatten die Zeiten sich für die beiden geändert.

Und trotzdem hatte sie noch ein paar Münzen übrig für einen begabten Straßenmusikanten, dessen Schicksal wir nicht kennen. Möge der Himmel sich öffnen, dachte ich bei mir, und Sterntaler auf sie herabregnen lassen.