_ Mit keinem Wort wird auf die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) zur koronaren Herzkrankheit (KHK) und die S3-Leitlinie zur hausärztlichen Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention eingegangen. Stattdessen wird ausschließlich die Empfehlung der europäischen Gesellschaften ESC und EAS zu LDL-Cholesterin-Zielwerten dargestellt.

Fakt ist: Zu der Zielwertstrategie gibt es bis heute keine Evidenz der Stufe Ia. Die Empfehlungen basieren auf Post-hoc-Analysen der großen Statinstudien, die allesamt nach dem Prinzip der fixen Dosis durchgeführt wurden (hierfür liegt also klare Ia-Evidenz vor). Sie erreichen somit maximal das Evidenzlevel IIa. Streng genommen dienen sie nur der Hypothesengenerierung, die dann zu verifizieren wären. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sowie aktuell die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft unterstützen die Zielwertstrategie daher nicht.

Diese wurde in die Welt gesetzt und massiv durch Gruppen gepusht, die enge Verbindungen zur Pharmaindustrie haben. Die ESC generiert mehr als 80% der Einnahmen durch Pharmasponsoring, wie aus dem Addendum ihres Jahresreports 2015 hervorgeht.

Damit wurden Medikamente in den Markt gebracht, für die zum damaligen Zeitpunkt Endpunktstudien fehlten. Die weitere Entwicklung hat dann gezeigt: Niacin bringt trotz LDL-Cholesterin-Senkung keinen Benefit und wurde vom Markt genommen. Ezetimib senkt die Ereignisrate deutlich geringer als nach der erreichten LDL-Cholesterin-Senkung zu erwarten wäre. Und das gilt wohl auch für die neuen PCSK9-Inhibitoren.

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Antwort des Autors:

Zunächst einmal steht die zielwertorientierte LDL-Cholesterin-Senkung auch in der NVL KHK an erster Stelle. Die Strategie der festen Dosis ist daneben an zweiter Stelle aufgeführt.

Es ist richtig, dass es bisher keine Studie gibt, die konkret verschiedene Zielwerte miteinander vergleicht. Allerdings zeigen alle Studien unisono, dass dann am meisten Ereignisse verhindert werden können, wenn eine möglichst starke LDL-Cholesterin-Senkung erfolgt und wenn die Patientenpopulation durch ein hohes oder sehr hohes Risiko charakterisiert ist. Daher erscheint es folgerichtig, bei Hochrisikopatienten einen möglichst niedrigen LDL-Cholesterin-Spiegel anzustreben. In der Praxis lässt sich dies am ehesten durch die Formulierung konkreter Zielwerte erreichen.

Eine „Strategie der festen Dosis“ ist durch eine deutlich schlechtere Adhärenz gekennzeichnet und ignoriert, dass eine starke Absenkung des Cholesterins notwendig ist, um den Nutzen der Statintherapie auszuschöpfen. Auswertungen der Statinstudien zeigen, dass die Patienten mit der stärksten LDL-Cholesterin-Senkung den größten Nutzen haben. Daraus ergibt sich, dass einerseits Ziele formuliert werden müssen, und dass andererseits die Absenkung überprüft werden muss.

Sowohl die Studien zu den PCSK9-Inhibitoren als auch die Studie zu Ezetimib zeigen eine Risikoreduktion, die angesichts der beobachteten LDL-Cholesterin-Senkung und der Dauer der Studien zu erwarten war. Dass dabei auch neue Fragen auftreten (z. B. warum die Sterblichkeit nicht beeinflusst wurde und warum manche Subgruppen mehr und andere weniger profitieren), ist nicht überraschend und sollte nicht dazu führen, dass das Gesamtkonzept in Frage gestellt wird.

Die negativen Studien zu Niacin und anderen Ansätzen sind in der Tat der beste Beleg, dass jeder einzelne Ansatz, so überzeugend er auch zunächst klingen mag, durch adäquate Endpunktstudien überprüft werden muss.