_ Patienten haben oft durchaus kreative Erklärungen für ihre Beschwerden. Die Schulprobleme kommen von der Impfung, die Bauchschmerzen sicher von einer Wurminfektion. Schimmel in Wohnräumen löst ebenso Befindlichkeitsstörungen aus wie Zeckenbisse, auch nicht erinnerte. Ich diskutiere schon lange nicht mehr darüber.

Eine psychiatrische Patientin mit Verstopfung machte es mir fast einfach, weil sie die Ursache ihrer Bauchschmerzen in einer (eingebildeten) Schwangerschaft (mit Jesus) sah. Sie nahm ihre Abführmittel nach meinem Hinweis, dass bei Schwangeren eine regelmäßige Verdauung gewährleistet sein muss.

Psychosomatisch grundversorgende Hausärzte kennen das Motto: „Erst anbinden, dann konfrontieren“. Wir vermitteln dem Patienten die von seiner Meinung abweichenden Sachverhalte erst, wenn Vertrauen hergestellt ist.

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„Da ist bestimmt ein Käfer reingeflogen, ich weiß es!“

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So diskutierte ich im Notdienst auch nicht mit dem etwas älteren Mann, der meinte, die Ursache eines unangenehmen Summens in seinem Ohr sei ein Käfer, der ihm auf einer Radtour da hinein geflogen sei. Mit dem Otoskop konnte ich nichts Auffälliges entdecken. Es sprach aber auch nichts gegen eine Ohrspülung, die mir — auch wenn ich sie für medizinisch unnütz hielt — Gelegenheit geben würde, das Thema Tinnitus anzusprechen.

Ich staunte dann aber nicht schlecht, als beim Spülen tatsächlich einer jener kleinen schwarzen Käfer auftauchte, die im Sommer früher in Massen auf gelbe Kleidung flogen. Da schämte ich mich ein bisschen, dass ich dem Patienten nicht geglaubt hatte. Ich war nur froh, meine Meinung bis dahin verschwiegen zu haben. Und so verabschiedete wir uns ohne Misstöne voneinander.