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_ Im ärztlichen Notdienst wurden wir zu einer 88 Jahre alten Frau mit Kreuzschmerzen gerufen. Eine Nachbarin und deren erwachsene Tochter öffneten uns die Tür. „Jetzt warte ich schon vier Stunden auf Sie!“ schrie mich die alte Dame zur Begrüßung an. Ich erklärte, dass heute sehr viel los sei und wir eben einen Hausbesuch nach dem anderen erledigen müssen. „Was?“ schrie die Patientin, die offensichtlich schwerhörig war.

Ich wiederholte die Erklärung mit entsprechend lauter Stimme. „Schreien Sie mich nicht so an!“, schrie sie. „Ich bin doch keine 18-Jährige mehr, die man anschreit.“ — „Wenn ich in normaler Lautstärke mit Ihnen rede, verstehen Sie mich ja nicht“ entgegnete ich. „Wie?“ Die Schwerhörige hatte wieder nichts verstanden.

Nun verlangte sie eine intensive Untersuchung. Kaum begann ich diese, schrie sie vor Schmerz auf und sagte, ich solle aufhören.

Die Nachbarin und ihre Tochter, die in jener Freitagnacht bereits mehrere Stunden bei der alten Dame ausgeharrt hatten, wollten die Gelegenheit nutzen, sich elegant zu verabschieden. „Beim Doktor sind Sie in guten Händen“, barmten sie noch. Doch die alte Dame machte ihnen einen Strich durch die Rechnung „Reden Sie doch nicht so einen Blödsinn daher!“ schrie sie sie an, „Das weiß ich selber! Aber ihr beide bleibt da, ihr könnt mich so doch nicht sitzen lassen!“, forderte sie.

Da neurologisch kein pathologischer Befund vorhanden war, erhielt die Patientin eine „Schmerzspritze“ — und ich war froh, dass ich die fordernde alte Dame wieder verlassen konnte.