Menschen, die schon einmal an der Schwelle des Todes standen und reanimiert werden konnten, berichten oft Erstaunliches: ein Tunnel, ein helles warmes Licht, ein Gefühl, außerhalb des eigenen Körper zu sein ... Was sagt die Wissenschaft zu derartigen Nahtoderfahrungen?
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_ „Unter Nahtoderfahrungen versteht man prägende Erlebnisse bzw. Wahrnehmungen in lebensbedrohlichen Extremsituationen wie etwa bei einem Herzstillstand trotz scheinbarer Bewusstlosigkeit“, erläuterte Prof. Wolfgang Heide, Chefarzt der neurologischen Klinik im AKH Celle. Solche Erlebnisse seien in zwei Drittel der Fälle positiv besetzt, in einem Drittel aber negativ als Höllenerlebnis. Oft wird ein angenehmes, anziehendes Licht am Ende eines Tunnels geschildert, eine „Communication of light“. Nicht selten wird auch eine Externalisierung der eigenen Person beschrieben, ein „Out of body“.
Nahtod und neurologische Forschung
„Von wissenschaftlicher Seite gibt es bisher nur wenige Daten zu diesem Thema“, so Heide. Eine Erhebung habe gezeigt, dass bei nicht vital bedrohlichen Ereignissen wie einer orthostatischen Synkope solche Nahtoderlebnisse öfter angegeben werden als nach wirklich bedrohlichen Situationen wie etwa einem Herzstillstand. In einer anderen Studie auf Basis von 102 Interviews mit 140 Überlebenden eines Herzstillstands berichteten 46% der Patienten über Erinnerungen an die Akutphase mit unterschiedlichen Inhalten: Erlebnisse, Furcht, Verfolgung/Gewalt, Angehörige. Nur 9% hatten Nahtoderlebnisse im eigentlichen Sinn (Licht, Tunnel, Out of body, Depersonalisation).
Auslöser im Gehirn
Es gibt zahlreiche Situationen, in denen Betroffene den Nahtoderfahrungen ähnliche Erlebnisse angeben. Dazu gehören:
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Schädigungen der Sehrinde mit visuellen Pseudo-Halluzinationen
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Großhirnschädigungen am temporo-parietalen Übergang
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Epileptische Anfälle im Schläfenlappen
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Elektrische oder magnetische Stimulation dieser Hirnregion
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REM-Schlaf
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Tiefe Meditation bzw. Endorphin-Freisetzung
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Drogen und Medikamente
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Erhöhter CO2-Gehalt oder Sauerstoffmangel.
„Gerade exzessive CO2-Level zeigen signifikante Effekte auf die visuelle Wahrnehmung“, so Heide. Man habe zeigen können, dass bei Patienten mit einem Herzstillstand Nahtoderlebnisse sehr viel häufiger auftreten, wenn nach der erfolgreichen Reanimation der CO2-Partialdruck erhöht ist. Am häufigsten wurde in dieser Untersuchung der „Blick in den Tunnel“ angegeben. Dieser Tunnelblick könne auch nach einem Schlaganfall oder bei einem Sauerstoffmangel in der Sehrinde auftreten, so Heide. Man habe auch zeigen können, dass Halluzinationen und echte Wahrnehmungen dieselben Hirnregionen benutzen.
Gibt es eine Nahtodregion?
Eine zentrale Rolle bei Nahtoderlebnissen wird dem temporo-parietalen Übergang zugeschrieben. Es ist die Region der Selbstperzeption. „Durch experimentelle elektrische Stimulation dieser Region lässt sich ein Out-of-body-Gefühl reproduzieren“, so Heide. Es spreche einiges dafür, dass diese Region für die Nahtoderlebnisse verantwortlich ist. Auch Halluzinogene wie LSD, Meskalin, Ketamin und Haschisch können — vermutlich über eine Blockade der NMDA-Rezeptoren — Nahtoderlebnisse induzieren.
Nahtoderlebnisse sind kein Blick ins Jenseits, resümmierte Heide. Die Frage nach der Unsterblichkeit der menschlichen Seele und einem Leben nach dem biologischen Tod lasse sich mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht beantworten. „Dies bleibt eine Glaubensfrage“, so Heide.
Literatur
Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM), 8.2.2018 in Würzburg
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Stiefelhagen, P. Ein Blick ins Jenseits?. MMW - Fortschritte der Medizin 160, 19 (2018). https://doi.org/10.1007/s15006-018-0269-7
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