_ Eines schönen Tages schickte mich die Rettungsleitstelle für eine Leichenschau in den Vatikan. Dafür musste ich zum Glück aber nicht nach Rom, sondern nur nach Stuttgart-Bad Canstatt. Dort gibt es nämlich einen komplett ummauerten Häuserblock mit einem großen Innenhof, der von allen „Vatikan“ genannt wird.

Woher der Name genau stammt, ist nicht gänzlich ergründet. Eine Überlieferung besagt, dass dort früher überwiegend Katholiken gewohnt haben. Es könnte auch einfach sein, dass die Anordnung der Gebäude an den Kirchenstaat erinnert. Jedenfalls wurde ich nun von einer Frau mit leichtem Foetor alcoholicus empfangen, die emotional nicht besonders bewegt schien. Ihr Mann liege im Bett, er sei vor drei Stunden verstorben, sagte sie wortkarg.

Die Leichenschau war unauffällig. Der Mann hatte eine Herzkrankheit gehabt und über 35 Packungsjahre als Raucher hinter sich. Livores und beginnender Rigor mortis lagen vor. Ich attestierte einen natürlichen Tod und sprach der Frau mein Beileid aus.

Doch sie wiegelte ab: „Mein Mann hat mir nie Glück gebracht! Ständig haben wir gestritten“, sprudelte es nun aus ihr heraus. „Er hat nie etwas für mich getan — und jetzt stirbt er auch noch! Es fehlt nur noch, dass ich die ganzen Kosten für die Beerdigung bezahlen soll. Das mache ich nicht; dafür habe ich kein Geld!“ Daraufhin zündete sie sich eine Zigarette an und nahm noch einen großen Schluck Bier.

Ich stand etwas verlegen und sprachlos im Flur. Da von medizinischer Seite alles erledigt war und die Leichenschauscheine ausgefüllt waren, verabschiedete ich mich schnell.

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Entgehen kann ihm niemand.

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Die hier angetroffene Familienkonstellation ist übrigens nicht typisch für den Bad Canstatter Vatikan.