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Dr. med. Wolfgang-Axel Dryden

_ Als Allheilmittel gegen ein vermeintlich ungerechtes Gesundheitswesen wird spätestens alle vier Jahre die Bürgerversicherung als Wahlversprechen und Forderung vorgebracht. Daher lautet die Ausgangsfrage: Was ist an unserem Gesundheitswesen ungerecht?

Aus Sicht des Arztes kann man es als ungerecht empfinden, dass in der GKV ärztliche Leistungen lediglich zu 80–90% der Honorarforderung beglichen werden, in der PKV hingegen zu 100%.

Die ewige Wartezeiten-Diskussion

Aus Sicht des Patienten kann ein unterschiedliches Leistungsangebot zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung als ungerecht angesehen werden. Dieses Angebot ist aber gesetzlich postuliert, indem innerhalb der GKV nur Leistungen eingefordert oder gewährt werden dürfen, die notwendig, zweckmäßig, wirtschaftlich und wissenschaftlich anerkannt sind. Diese Eingrenzung nimmt die PKV nicht vor.

Medial wird die Ungerechtigkeit dargestellt, indem Terminanfragen bei Fachärzten je nach Versicherungsstatus unterschiedlich lange Wartezeiten nach sich ziehen. Allerdings wird ausgeblendet, dass bei nachweislicher Dringlichkeit ein rechtzeitiger Termin entweder durch den behandelnden Arzt oder eine Terminservicestelle ermöglicht wird.

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Wenn Ärzte und Patienten weitgehend zufrieden sind — wozu die Aufregung?

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Was bewirkt letztlich eine Bürgerversicherung? Beispielhaft kann die Gesundheitsreform in den Niederlanden vor gut zehn Jahren gelten. Dort wurden damals alle Krankenkassen privatisiert und unter einen Kontrahierungszwang für alle Antragsteller gestellt. Dabei muss ein definierter Leistungskatalog gewährt werden, der stärker begrenzt ist als in Deutschland, wo dem Versicherten ein universeller Leistungsanspruch vorgegaukelt wird.

In die niederländische Variante der Bürgerversicherung ist ein Primärarztsystem integriert. Der Hausarzt ist erster Ansprechpartner für die Patienten und koordiniert unter anderem die Inanspruchnahme von Fachärzten. Facharzttermine sind kurzfristig kaum zu erhalten, sodass niederländische Krankenkassen Verträge mit grenznah praktizierenden deutschen Fachärzten abschließen, um dort zeitige Termine für ihre Versicherten zu erhalten.

In Schweden gilt als gerecht, dass derjenige Vorrang für Leistungen hat, der sie am dringendsten benötigt. Diese Dringlichkeitsentscheidung beruht auf einer medizinischen Einschätzung — und nicht der des Patienten. Spezialisten müssen belegen, dass sie vorwiegend nach Dringlichkeit entscheiden. Demgegenüber ist Priorisierung in Deutschland ein Unwort! Aber ist dieses Vorgehen nicht gerechter?

Priorisierung wäre unabdingbar

Was also bringt eine Bürgerversicherung? Eine Einheitsversicherung, die auch auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Was das bedeutet, kann man an vielen zurückgezogenen Zusagen finanzieller Zuwendungen aus dem Staatshaushalt ablesen. Sie funktioniert nur mit Steuerung, mit klarer Definition des Leistungsumfanges. Das wird in Deutschland schwer zu vermitteln sein, wo inzwischen Befindlichkeit oft den Vorrang vor tatsächlichem Bedarf hat.

Ich befürchte, dass diejenigen, die eine Bürgerversicherung einfordern, sich nach einer vollständigen Umsetzung wünschen würden, dass sie diese Geister nie gerufen hätten.