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Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Privatpraxis für Integrative Innere Medizin, München

_ In der kanadischen Provinz Ontario wird regelmäßig und standardisiert die Medikation aller Alten- und Pflegeheimpatienten mit demenziellem Syndrom überprüft. Gesucht werden Medikamente mit zweifelhaftem Nutzen. Nun hat man die Daten von 9.298 Personen mit fortgeschrittener Demenz ausgewertet, die zwischen Juni 2010 und März 2013 im Alter von ≥ 66 Jahren verstarben. Alle hatten in ihrem letzten Lebensjahr noch eine Überprüfung erlebt. Primäres Studienziel war der Gebrauch von acht Medikamentenklassen, etwa Lipidsenker, Antidementiva oder Thrombozytenaggregationshemmer, in den letzten 120 bzw. 7 Tagen des Leben.

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Wenn der Tod naht, sind viele Pillen nicht mehr wichtig.

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86,3% der Patienten hatten derartige Medikamente in den 120 Tagen vor dem Tod erhalten, 45% in der letzten Lebenswoche. Unter den Klassen mit der höchsten Verordnungsrate waren Antidementiva mit 63,6% und Lipidsenker mit 47,8%. Eine schwere Demenz und ein klinisch besserer Gesundheitszustand waren positiv mit dem Gebrauch zweifelhafter Medikamente assoziiert.

Umgekehrt wurden derartige Mittel in der letzten Lebenswoche seltener verordnet, wenn die Patienten im letzten halben Jahr vor dem Tod von einem Neurologen oder einem Psychiater gesehen worden waren.

KOMMENTAR

Man darf sicher sein, dass eine Untersuchung in deutschen Altenheimen ein ganz ähnliches Ergebnis erbringen würde. Allerdings wäre sie unter den hiesigen Verhältnissen gar nicht durchführbar — und darin liegt auch in gewisser Weise die Tragik. Demenzkranke Patienten im Altenheim stehen im Spannungsfeld der Verantwortlichkeit zwischen dem Pflegepersonal, oftmals mehreren Ärzten und den Angehörigen. Einmal getroffene Verordnungsentscheidungen werden so durch die letzten Lebensjahre geschleppt, weil niemand mehr darüber nachdenkt und jede Therapieänderung eine gewisse Verantwortungsbereitschaft erfordert.

Dazu kommt häufig noch der eifrige Lieferservice von Apotheken, die das bequeme Polster der Gewohnheit für ihre Interessen nutzen — selbstverständlich alles zum Wohle des Patienten. Wer dieses System durch regelmäßige Evaluationen durchbrechen will, handelt sich viel Arbeit und potenziellen Ärger ein. Und wer will das schon?