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Übergewicht beginnt im Kopf, so die Ergebnisse aktueller Hirnforschung. Dem müsse man therapeutisch Rechnung tragen, meint die Internistin und Diabetologin Veronika Hollenrieder.
? MMW: Sie plädieren für mehr Gelassenheit im Umgang mit Übergewicht.Empfehlen Sie nicht allen übergewichtigen Patienten abzunehmen?
Hollenrieder: Nicht alle meine Patienten müssen zwingend abnehmen. Für mich geht es zunächst einmal darum, kardiovaskuläre Risikofaktoren, also Hypertonie, Diabetes und eine Fettstoffwechselstörung, abzuklären und diese Parameter einzustellen. Gleichzeitig versuche ich zu erfassen, wie sehr der Patient unter seinem Gewicht leidet. Der BMI, an dem sich viele orientieren, ist nicht unbedingt die ideale Größe, um ein Gesundheitsrisiko zu definieren.
Dass eine Gewichtsreduktion bei Diabetes oder Bluthochdruck für den Patienten meist Vorteile hat, ist unbestritten. Wir müssen aber berücksichtigen, dass unrealistische Zielvorgaben das Stresssystem der Patienten auf hochreaktiv schalten. Dies sollte in jedem Fall vermieden werden. Auch dürfen nicht gesellschaftliche Normen unser Handeln prägen, und es sollen immer nur Maßnahmen empfohlen werden, die alle Risikofaktoren und Komorbiditäten des Patienten berücksichtigen. Gerade bei älteren und multimorbiden Patienten müssen wir Ärzte lernen, das Gewicht nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen.
? MMW: Sie sehen die Lebensgewichtskurve als wichtiges Element bei der Arbeit mit übergewichtigen Menschen. Was sagt sie aus?
Hollenrieder: Bevor ich mit meinen Patienten über Veränderungen spreche, versuche ich sie dazu zu bewegen, ihre individuelle Lebensgewichtskurve aufzuzeichnen. Sich auf die Reise in die eigene Vergangenheit zu begeben bedeutet, die Schlüsselstellen zu finden, an denen das Gewicht gestiegen ist. Oft verbergen sich dahinter Ereignisse wie Kündigung, Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Tod eines Partners. Für uns Ärzte eröffnet sich damit ein Blick auf die Stressoren, die unsere Patienten auf ihren Schultern tragen. Dies bietet neue Ansatzpunkte für therapeutische Bemühungen.
? MMW: Ist Dicksein also primär ein psychologisches Problem?
Hollenrieder: Zu 70% meine ich: Ja.
? MMW: Brauchen dicke Menschen dann als erstes eine Psychotherapie?
Hollenrieder: Die Psychotherapie ist eine wichtige Säule der Adipositastherapie. Unsere Patienten sind aber meist skeptisch, vor allem dann, wenn sie schon erfolglose Therapien hinter sich haben. Sie müssen erst einmal lernen, Hilfe anzunehmen und dies nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu werten.
? MMW: Seit Jahren setzen Sie beim Gewichtsmanagement SMART* ein. Was ist das Wesentliche dieser Strategie?
Hollenrieder: Bei SMART geht es darum, über Ziele zu sprechen, die spezifisch, messbar, aktiv erreichbar, realistisch und termininert sind. Wenn ich mir etwa vornehme, in den nächsten drei Monaten 1,5 kg abzunehmen, ist das machbar und setzt mich nicht unnötig unter Druck. Ist das Ziel festgelegt, spreche ich mit dem Patienten darüber, wie er das schaffen will. Wir nehmen uns immer nur ein spezifisches Ziel vor. Ist dieses erreicht, entscheidet der Patient, ob er hier weitermachen oder sich ein neues Ziel setzen will. Egal welcher Art das Ziel ist, es geht darum, positive Gefühle zu wecken.
Interview: Dr. Christine Starostzik
*SMART: Specific Measurable Accepted Realistic Time Bound
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Springer Medizin. Denken Sie an die Seele Ihrer Patienten, nicht nur an ihren Bauch!. MMW - Fortschritte der Medizin 159, 8 (2017). https://doi.org/10.1007/s15006-017-9812-1
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