_ „Ach, wie sollen Sie mir denn helfen?“, seufzte die alte Dame, die eigentlich von meiner Kollegin behandelt wird. „Sie kennen meine Krankengeschichte doch gar nicht!“ Da die Kollegin zu einem Notfall aus der Sprechstunde gerufen worden war, versprach ich, mein Bestes zu versuchen. Die reizende Lady zog einen Zettel aus der Handtasche, auf dem sie die zu hohen Blutdruckwerte notiert hatte, die sie über die letzten Tage gemessen hatte. Sie berichtete auch über Kopfschmerzen, um sich dann wieder zu unterbrechen: „Aber ich kann Ihnen doch nicht alles erzählen, was in den letzten Jahren war!“

Ich beruhigte sie mit der Feststellung, dass ich das ja aus der Kartei entnehmen könnte, und fragte sie nach ihrem Blutdruckmedikament. „Das ist seit einer Woche alle, darum habe ich es nicht mehr genommen“, sagte sie. „Aber dann ist doch der hohe Blutdruck kein Wunder!“, rief ich. Ein echter Effekt blieb aus, sie konnte oder wollte das noch nicht so richtig verstehen. „Wirklich?“, fragte sie zweifelnd. „Aber ich habe ja auch gar keine Tabletten mehr“, verfiel sie dann wieder in ihr Lamento. Ermunternd versprach ich, ihr sogleich ein Rezept auszustellen — und ich bat sie, die erste Dosis noch am selben Tag einzunehmen.

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„Ich bezweifle ja leider, dass Sie mir helfen können ...“

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Als sie ging, war sie dankbar und erleichtert, dass ich ihr doch helfen konnte, ganz ohne ausführliche Anamnese. Wie schwer das Leben für diese nette alte Dame sein muss, wenn die simple Erlangung eines Folgerezeptes sie schon an ihre Grenzen bringt.